Experte über Gesundheitsdaten: „Einstieg in die Entsolidarisierung“
In den USA will eine Versicherung nur Kunden, die gesund leben. Die bekommen Rabatte gegen Daten, warnt Verbraucherschützer Philipp Opfermann.
taz: In den USA verlangt mit dem Unternehmen John Hancock der erste Lebensversicherer, dass KundInnen an einem Programm für gesundes Alltagsverhalten teilnehmen. Diese zahlen weniger ein, wenn sie sich etwa über ein Fitnessarmband kontrollieren lassen. Ist das der Einstieg in die totale Gesundheitskontrolle?
Philipp Opfermann: Es gibt den Trend zu mehr Kontrollen in der Versicherungswirtschaft. Neu ist an diesem Angebot, dass es keine Option für den Kunden ist, sondern die Voraussetzung für den Abschluss. Das ist eine Entwicklung, die wir Verbraucherschützer mit großer Sorge betrachten. Es ist der Einstieg in die Entsolidarisierung, in immer individueller Angebote. Die Jungen, Gesunden können sie wahrnehmen, die anderen bleiben außen vor. Der Versicherungsgedanke ist ja, dass in einem Kollektiv Risiken ausgeglichen werden. Und: Die Daten sind Währung, damit bezahlt der Kunde die günstige Prämie.
In Deutschland ist mit der Generali bereits ein Versicherer in dieses Geschäft eingestiegen. Was passiert mit den Daten, die erhoben werden?
Der Unterschied zu dem Angebot in den USA ist: Man muss das nicht machen, man kann sich verweigern und bekommt dann eben den Rabatt nicht. Bei dem Angebot der Generali in Deutschland erhält der Versicherer die Daten nicht. Er hat einen Dienstleister dazwischen geschaltet und bekommt nur eine Gesamtbewertung. Das scheint datenrechtlich sauber zu sein. Trotzdem ist es so, dass Daten die Währung sind und Versicherer an möglichst vielen Daten interessiert sind, um eine genaue Risikoeinschätzung vornehmen zu können. Die niedrigere Prämie wird mit Gesundheitsdaten und Einkaufverhalten bezahlt. Für Kunden ist es deshalb immer wichtig, auch das Kleingedruckte zu lesen.
Bekommen Kranke demnächst keine Versicherung mehr?
Aktuell ist das nicht absehbar, aber solche Angebote könnten der Einstieg sein. Die Gefahr besteht, dass Kunden sich irgendwann rechtfertigen müssen, warum sie keine Daten preisgeben wollen. Weigern sie sich, könnte der Versicherer unterstellen, dass sie nicht gesund leben – und einen höheren Beitrag fordern.
Philipp Opfermann, 39, ist Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Können Kunden Programme zur Überwachung, die so genannten Fitness Tracks, austricksen?
Theoretisch ist das möglich, etwa dass man das Fitnessarmband dem sportlichen Nachbarn mitgibt. Aber diese Angebote richten sich nicht an Menschen, die so etwas möchten. Sie richten sich an diejenigen, die ohnehin ihre sportlichen Aktivitäten überwachen. Oder an Leute, die zu mehr Aktivität und gesünderem Essen animiert werden wollen.
Würden Sie den Abschluss so einer Versicherung empfehlen?
Das kommt darauf an. Wer ständig bei Facebook seine Laufstrecke postet und Belohnungssysteme gut findet, dem kann man schlecht sagen: Schließe das nicht ab, damit die Älteren und Kränkeren nicht eines Tages schlechter Versicherungsschutz bekommen. Auf jeden Fall ist es wichtig, genau im Kleingedruckten nachzuschauen, was tatsächlich mit den Daten passiert.
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