Expansion des Millerntorstadions: Mit schwerem Gerät am Nazi-Kanal
Der FC St. Pauli erweitert sein Stadion und wird wohl sogar im Zeit- und Kostenrahmen bleiben. Aber es muss ein Rest Vergangenheit abgeräumt werden.
HAMBURG taz | Vier Kräne, zwei gelbe, einer in Orange und ein roter. An einem der gelben Kräne hängt ein Fertigteil aus Beton – mit Aussparung für die Tür. Das Teil muss einen schmalen Schlitz passieren, in dem Teil der Osttribüne, der schon steht. Der Mann im Kranführerhäuschen sieht nicht viel, ein Bauarbeiter, blauer Helm, dirigiert das Betonteil mittels Seil. Sieht aus, als ob er einen Drachen steigen ließe.
Im Millerntorstadion wird an der Osttribüne gebastelt, auch „Gegengerade“ genannt: Platz für 13.000 Fans, davon 10.000 Steh- und 3.000 Sitzplätze. Zusammen mit dem Ausbau des Trainingsgeländes an der Kollaustraße und der Nordtribüne, die als letzte gebaut wird, kostet sie 22 Millionen Euro. „Geht noch“, findet Stadionchef Wolfgang Helbing. Wird wahrscheinlich nicht teurer, und sogar pünktlich fertig. Und das bei einem Zeitplan von Ende Mai bis Anfang August, „bei dem alle sagten: geht nicht“, wie sich Helbing erinnert.
Das mit den Kosten und der Zeit kann man nicht von allen Baustellen der Stadt behaupten. Vielleicht liegt es daran, dass hier gearbeitet wird: 30 Mann sind auf der Baustelle unterwegs.
„Mit einigen Sachen sind wir weiter, als der Zeitplan vorsieht, mit anderen nicht, aber bei den Verschiebungen geht es nur um Tage“, versichert Helbing. Bei den Tribünenstufen im vorderen Bereich ging es schneller. Am Ende werden es 48 Stehplatz- und 14 Sitzplatz-Traversen sein, Höhe: 20 Meter. Dafür waren die Kanalarbeiten mühsam.
Vor der Tribüne lief ein „Nazi-Kanal“, wie Helbing ihn nennt. Erbaut zur gleichen Zeit wie der Flakturm IV, also 1942, und auch so massiv: „Unglaublich viel Eisen verbaut, der Kanal war wie der Bunker selbst. Wir mussten allerschwerstes Gerät einsetzen“, erzählt Helbing. Das Rausholen war teuer, das Entsorgen wird es auch, befürchtet Helbing.
Der Kanal musste raus, weil ein Regenwasserrückhaltebecken gebaut wird, damit das Regenwasser, das auf die Tribüne prasselt, nicht auf einmal ins Siel drückt, sondern kontrolliert abfließt. Nun ist ein neuer Kanal drin. „Großes Teil“, sagt Helbing.
Komplett fertig werden soll die Tribüne Ende des Jahres. „Immerhin so weit fertig, dass wir Teile nutzen können, das müssten wir bis zum zweiten Heimspiel schaffen“, schätzt Helbing. Könnte also mit den Stehplätzen was werden am Samstag, dem 1. September, 13 Uhr, gegen den Aufsteiger SV Sandhausen. Voraussetzung sind Wellenbrecher, Zäune und ein vernünftiger Zu- und Abgang. Ein Treppenhaus hat die Tribüne schon jetzt, aber das ist nur was für Bauarbeiter.
Die Osttribüne ist nicht so kompliziert wie die anderen, weil nicht so viele Extraräume geplant sind, keine Séparées, Ballsäle und Büros reinkommen. Dann nimmt Helbing die Finger: „Auf den Ebenen I und II die Sanitäreinrichtungen und Kioske, da erwarte ich keine Probleme, da haben wir schon Routine, das haben wir schon zweimal gebaut.“ Im Erdgeschoss „die Fanräume und die Wache für die Polizei, das ist gut durchgeplant, auch da erwarte ich keine Probleme.“
Um die Wache gibt es eine Diskussion. Der „Ständige Fanausschuss“ und Mitglieder der „AG Stadionbau“ des FC St. Pauli hatten Innensenator Michael Neumann (SPD) einen Brief geschrieben, in dem sie ihn um Vermittlung bitten. Die Fans wollen keine Wache in ihrer Tribüne, sondern auf dem Heiligengeistfeld. Die Konsequenz wäre Helbing zufolge: „Zusätzliche Investitionen, die wir nicht haben, und zusätzlicher Platz auf dem Domgelände, den wir nicht kriegen.“
Das größte Hindernis beim Bau ist der Platz: Dom, Fanfest, Schlagermove, auf dem Heiligengeistfeld ist immer was. „So ist das bei einem innerstädtischen Stadion“, sagt Helbing. Wenn es mit der Nordtribüne losgeht, ist von hinten gar nichts zu machen, da müssen die Kräne links und rechts stehen. „Kriegen wir auch hin“, sagt Helbing zuversichtlich.
Als die Fundamente gegossen wurden, war Openair-Kino im Stadion. Bis 21.30 Uhr, bis kurz vor Einbruch der Dunkelheit, wurde betoniert. Als es dunkel war, gingen die Bauarbeiter und die Kinobesucher kamen.
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