■ Exminister Van der Biest unter Mordverdacht verhaftet: Belgisches Labyrinth
Es sieht aus, als habe die belgische Justiz plötzlich Flügel bekommen. Mit einem Tempo, daß man ihr kaum zugetraut hätte, werden immer neue Verhaftungen im Mordfall des wallonischen Sozialistenchefs André Cools gemeldet. Erstmals in der Geschichte des Landes, in der die Liste der unaufgeklärten Verbrechen lang und blutig ist, wurde nun ein Exminister verhaftet: Alain Van der Biest. Er gilt als Hintermann des Mordes, den vor fünf Jahren zwei aus Catania eingeflogene Killer vollstreckten.
Auf die Spur des Exministers kam man im Fall des Kindermörders Marc Dutroux. Daß dessen Verbrechen in die Schlagzeilen der Weltpresse kamen, erwies sich für die belgische Administration als therapeutischer Schock. Mit dem Mord an vier Mädchen wurde erstmals eine Grenze überschritten, die auch den zynischsten Politikern deutlich machte: Die Zeit der öffentlichen Heucheleien ist vorerst vorbei.
Die zerstrittenen Flamen und Wallonen, die sich mit ihrem Staat noch nie identifizierten, werden in Ausnahmezeiten wie diesen zum Volk der Belgier. In ihrem kollektiven Bewußtsein gilt der belgische Staat ansonsten als der Erzfeind, der sie betrügt und – wie im Fall der entführten, mißbrauchten und ermordeten Kinder – im Stich läßt.
Der Fall Cools – eine Affäre aus Waffenschieberei, Wertpapierschmuggel und Bereicherung, in die auch der Ex-Nato-Generalsekretär Willy Claes verstrickt war – ist die Spitze der alltäglichen Korruption. Wer hier Karriere machen will, muß in einer Partei sein, die alles regelt und immer recht hat. So entsteht ein dichtes Netz von Freundschaften, Abhängigkeiten und Erpressungen, das im Justiz- und Polizeiapparat auf die Spitze getrieben wird.
In ihrer Arroganz scheinen die Politiker begriffen zu haben, daß der Mord an den Kindern mehr zuwege gebracht hat, als alles leere Geschwätz. Schließlich steht das Land Belgien auf dem Spiel. Denn das Versagen der belgischen Politik beflügelt die Rechtsextremen, die ein eigenes Flandern und ein eigenes Wallonien fordern, in dem Asylbewerber unerwünscht sind. Ihr bisheriger Erfolg macht deutlich, daß Belgien es mit Kräften zu tun bekommen hat, die außer Kontrolle geraten könnten. Dirk ter Brügge
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