Existenzialisten beim Giro d`Italia: David unter den Goliaths
Das Team Cervélo ist der David unter den Goliaths im Radsport. Da betreibt ein ein Fahrradladen einen Profirennstall. Und schon im ersten Jahr erfolgreicher als erwartet.
ARENZANO taz | Team Cervélo stellt die Existenzialisten im Radsportgeschäft: Die Angestellten tragen reizende schwarze Rennanzüge. In einem schwarz lackierten Bus rollen sie durch Europa. Sie sind smart und haben Klasse: Heinrich Haussler führt die Pro-Tour-Wertung an; mit Carlos Sastre ist der aktuelle Tour-de-France-Champion im Kader. Hinter dem Team stehen Ingenieure, keine Biochemiker - was den Ruf der Branche ein wenig aufpoliert.
Das Cervélo Test Team ist der David unter Goliaths. Während ganze Volkswirtschaften die Teams Astana und Katusha als Bannerträger auserkoren haben und immer noch 9.200 und ein Milchbauer (laut Geschäftsbericht 2007) Geld für den Milram-Rennstall ausgeben, besteht die Mutterfirma Cervélo gerade einmal aus 80 Leuten. 40 von ihnen konstruieren in Kanada Räder. Weitere 40 sind in der Schweiz mit der weltweiten Vermarktung beschäftigt. Weil Cervélo auch ein erstklassiges Frauenteam - unter anderem mit der Armstrong-Namensvetterin Kristin - unterhält, umfasst der Profisportableger mehr Personal als die das Geld gebende Firma. Vereinfacht kann man sagen: Ein Fahrradladen betreibt einen Profirennstall.
Mitbegründer Phil White mag diese Konstellation. "Wir sind klein. Wir hatten ursprünglich gar nicht vor, so schnell auf diesem Niveau einzusteigen. Aber dann haben wir Carlos Sastre unser Projekt vorgestellt. Der war sofort begeistert. Danach mussten wir ein Team aufbauen, das eines Tour-de-France-Siegers würdig ist", erzählt er am Rande des Giro dItalia. Sastre war im letzten Jahr auf einem Cervélo-Bike zum Triumph in Frankreich gerast. Weil die Radmarke sich vom damaligen Team CSC unabhängig machen wollte, CSC zu Specialized wechselte, Sastre aber nicht auf seinen gewohnten Untersatz verzichten wollte, kam die Liaison zustande.
Jetzt ist Cervélo einer der wichtigsten Player im Peloton. Die Klassikersaison verlief mit Podiumsplätzen von Heinrich Haussler und Thor Hushovd bei Mailand-San Remo, der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix ziemlich erfolgreich. Besonders der Deutsch-Australier Haussler, der bei Gerolsteiner sein Talent eher versteckte, ist aufgeblüht. "Ein neues Team, neues Material und neue Kollegen spornen an", erklärt Haussler seinen Leistungssprung. Kürzere und intensivere Trainingsumfänge in Höhenlage haben freilich auch ihren Anteil.
Phil White, der gelernte Maschinenbau-Ingenieur, ist stolz darauf, wie gut seine Profiradsport-Maschine im ersten Versuchsjahr bereits funktioniert. "Die Einzelteile sind von hoher Qualität, das System ist ausgefeilt", lobt er. Auf Italiens Straßen überwacht er das Feintuning für die Rundfahrtsaison. Als wohl einziger Eigner eines Hauptsponsors verfolgt er die Rennen aus nächster Nähe. "Wir lieben Räder", sagt er von sich und seinem Partner Gerard Vroomen. "Deshalb haben wir uns vor 15 Jahren entschlossen, die besten Räder der Welt zu bauen", erklärt er mit entwaffnendem Selbstbewusstsein.
Auf den inzwischen als im High-End-Bereich als führend angesehenen Zweirädern soll Carlos Sastre seinen Überraschungserfolg aus dem Vorjahr wiederholen. Deshalb tritt der Spanier beim Giro dItalia an. Als Fahrertyp ist er ein Diesel. Je länger er läuft, desto stärker wird er. Nicht selten absolviert er in einer Saison alle drei Rundfahrten. Beim Giro ist er zum ersten Mal als Kapitän dabei. 2006 verhalf er Ivan Basso zum Sieg. Jetzt will er selbst aufs Podium. "Von den großen Rundfahrten fehlt mir nur noch der Giro", meint der zweimalige Zweite der Vuelta. Carlos Sastre ist der Geheimfavorit der diesjährigen rosa Schleife. Ein David allerdings ist er nicht mehr. Sollte er gewinnen, würde er zum Großen Karl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!