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Exil-Aktivistin über Krise im Libanon„Das System nie infrage gestellt“

Obwohl Frankreich streng laizistisch ist, habe Paris das konfessionelle System im Libanon nie hinterfragt, kritisiert die Exillibanesin Rima Tarabay.

Lebt in Paris, demonstriert in Beirut: Rima Tarabay Foto: Patrick Baz
Rudolf Balmer
Interview von Rudolf Balmer

taz: Frau Tarabay, wie haben Sie als Umweltschützerin auf die Explosionskatastrophe am 4. August in Beirut reagiert?

Ich war in Beirut und denke seither: Das hat uns noch gefehlt! Nach den israelischen Bombardements 2006 hatten wir schon die Ölpest an der Küste. Dieses Mal ist die Ursache die sträfliche Fahrlässigkeit der Regierungsbehörden, die wussten, dass seit Jahren explosive Chemikalien im Hafen gelagert wurden. Was geschehen ist, halte ich für bezeichnend für den Zustand, in dem sich der Libanon befindet.

Inwiefern?

Eine konfessionell strukturierte Politikerkaste verhindert die Herausbildung eines funktionierenden Staats. Ich habe früher selbst für den Premierminister (Rafik Hariri, d. Red.) gearbeitet und war bei einer extremistischen Partei (Forces libanaises, d. Red.). Aber ich habe mich gewandelt und beteilige mich mittlerweile selbst an den Demonstrationen.

Worin besteht Ihr Meinungswandel?

Das Hauptproblem des Libanons ist sein System, das im 19. Jahrhundert und dann ab 1920 geschaffen wurde. Die Aufteilung der Macht und der Posten an die religiösen Gemeinschaften wurde leider von Frankreich (damals Schutzmacht, d. Red.) gebilligt, um seine Alliierten, die christlichen Maroniten, zu schützen. Es ist dieses System der konfessionellen Machtteilung, das zum Bürgerkrieg und in die heutige Sackgasse geführt hat.

Im Interview: Rima Tarabay

Rima Tarabay lebt in Paris und arbeitet für die NGO Ecotown. Sie gilt als einflussreiche Stimme der Exillibanesen in Frankreich. Ab 1992 war sie Beraterin des libanesischen Premierministers Rafik Hariri. 2014 gründete sie die feministische Vereinigung Lebanon Association for Women. Sie lebt mehrheitlich in Paris, beteiligte sich aber an Kundgebungen gegen die Regime in Beirut.

Warum hat das Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 keinen Neubeginn erlaubt?

Seit 1992 steht in der Verfassung, dass von den Konfessionen unabhängige Wahlen organisiert werden müssen. Dies wurde aber nie umgesetzt, weil der Libanon von Syrien und Israel besetzt wurde. Auch nach dem Ende der Kontrolle durch Syrien 2005 wollten die Parteien und auch die Regierung von Rafik Hariri und später diejenige seines Sohns Saad den Verfassungsauftrag nicht umsetzen. Deshalb gibt es weiterhin einen christlichen Präsidenten, einen sunnitischen Premierminister et cetera. Das hat katastrophale Auswirkungen. Beginnen wir unsere „Revolution“ also damit, endlich die Verfassung zu respektieren. Sie liefert die rechtliche Grundlage für laizistische Wahlen.

Am Montag reist Frankreichs Präsident Macron erneut in den Libanon. Sie leben in Paris und erwarten von Frankreich humanitäre und politische Unterstützung. Ist das nicht eine Gratwanderung zwischen Solidarität und Einmischung?

Bisher ist Präsident Macron in seiner Kritik oberflächlich geblieben. Ist er bereit, die Fehler seiner Vorgänger einzugestehen? Obwohl Frankreich ein laizistisches Land ist, hat es das konfessionelle System im Libanon nie infrage gestellt. Aber ohnehin ist es an den Libanesen, Änderungen herbeizuführen. Ich möchte nicht, dass Frankreich oder sonst wer interveniert. Die Protestbewegung vom 17. Oktober war eine Hoffnung und wird vielleicht weitergehen. Nur das Volk kann Änderungen durchsetzen. Die ausländischen Mächte müssen aber realisieren, dass sie das konfessionelle und korrupte System im Libanon lange haben gewähren lassen.

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