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Ex-Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof„Lügen sind nicht geschützt“

Online-Netzwerke wie Facebook sollen die Gesellschaft nicht „für dumm verkaufen“. Das fordert der ehemalige Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof.

Ferdinand Kirchhof bei seiner Entlassung als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Foto: ap

Triberg taz | „Es ist ja rührend, dass die EU-Kommission die globalen Player der Informationsgesellschaft mit dem Kartellrecht prüft, aber hier geht es um Informations- und Meinungsmacht, nicht nur um wirtschaftliche Macht“, sagte Ex-Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof bei einer Tagung des Stuttgarter Justizministeriums. Der Staat dürfe nicht zuschauen, wie die Gesellschaft „für dumm verkauft“ wird.

Bis vor zwei Wochen war Kirchhof Vizepräsident des Bundesverfassugnsgerichts. Er war Vorsitzender des für Meinungs- und Pressefreiheit zuständigen Ersten Senats. Nun diskutierte er auf dem Symposium „Debatten ohne Grenzen?“ in Triberg.

Die Verbreitung von Lügen sei nicht vom Grundgesetz geschützt, betonte Kirchhof. „Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht im Schutzbereich der Meinungsfreiheit“. Der Staat könne daher Online-Netzwerke verpflichten, keine unwahren Fakten mehr weiterzugeben. Natürlich wolle er kein Wahrheitsministerium, das mit Verboten arbeitet, aber es gebe auch weichere Instrumente, etwa Haftungsregelungen.

Soziale Medien wie Facebook und Suchmaschinen wie Google hätten eine fast schon staatsähnliche Macht. Sie müssten daher öffentlich-rechtlich mehr in die Pflicht genommen werdenm, so Kirchhof. „Der Staat muss hier ein Schutzbedürfnis befriedigen“.

Bisher können sich Plattformen wie Facebook auf das so genannte Provider-Privileg berufen. Sie müssen Inhalte nicht vorab prüfen. Rechtswidrige Inhalte müssen sie erst entfernen, wenn sie darauf hingewiesen werden („notice and take down“). Seit 2017 verpflichtet das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) die Plattformen zu einem effizienten Beschwerdemanagement.

Kritik an social bots

Kirchhof hat auch „größte Sympathie“ für den Vorschlag, in sozialen Netzwerken nur noch Äußerungen mit hinterlegten Namen und Adressen zuzulassen. „Anonyme Meinungsäußerungen sind feige“, sagte Kirchhof, „wenn ich demonstriere, muss ich auch mein Gesicht zeigen“.

Social bots sollten nicht verboten werden, schließlich könnten diese auch positive Aufgaben übernehmen, etwa die automatische Verbreitung von Erdbebenwarnungen, wenn Messgeräte anschlagen.

Für problematisch hält Kirchhof zudem social bots, die robotergesteuert Meinungen verbreiten und so tun, als wären sie Menschen. „Ist das von der Meinungsfreiheit geschützt? Da habe ich große Zweifel“, so Kirchhof. Hier werde eine Diskussion durch bloße Quantität manipuliert und so das Meinungsklima beeinflusst. Social bots könnten daher untersagt werden. Globale Player könnten verpflichtet werden, dass auf ihren Plattformen nur reale Menschen agieren.

Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni München, kritisierte Kirchhofs Ansatz. „Große Internet-Plattformen können nicht wie ein Rundfunksender oder eine Zeitung in die Verantwortung genommen werden“, sie produzierten schließlich keine eigenen Inhalte, sondern bieten nur die Plattform für die Inhalte von anderen. Hier könne der Staat nur Mindesstandards setzen, etwa für Algorithmen, die die Darstellung von Diskussionsbeiträgen steuern. Social bots sollten nicht verboten werden, schließlich könnten diese auch positive Aufgaben übernehmen, etwa die automatische Verbreitung von Erdbebenwarnungen, wenn Messgeräte anschlagen.

Auch Wolfgang Kreißig, Präsident der Stuttgarter Landesanstalt für Kommunikation, lehnte es ab, soziale Plattformen wie Inhalteanbieter zu behandeln. Sie könnten nur verpflichtet werden, niemand zu diskriminieren, also Interessenten nicht willkürlich auszuschließen. Es genüge, wenn social bots gekennzeichnet würden, ein Verbot gehe zu weit.

Betina Limperg, die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, hofft auf neue Kräfte aus der Zivilgesellschaft, etwa wenn Medien Internetgerüchte überprüfen. „Faktenchecks finden junge Leute spannend“. Man müsse vorsichtig sein, mit dem Staat solche Kommunikationsprozesse zu regulieren.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • In Bezug auf FB usw. vielleicht noch umsetzbar, aber jeder private Betreiber eines Forums oder Blogs wäre völlig überfordert vom Wunsch, alle Inhalte VOR der Veröffentlich überprüfen zu müssen.

    Überhaupt ware das der Tod spontaner und zeitnaher Diskussion.

    Es kann nur mit einer Meldungs-Reaktions-Kette gehen und natürlich mit einem Ban für Wiederholungstäter.

    Oder mit einem post-posted-check, so läuft es ja mit Bildern schon seit Jahren. Aber es ist nicht zu bewätigender Riesenunterschied, Bilder zu beurteilen oder Texte zu lesen und zu verstehen.

  • Wer Verfassungsrecht - insbesondere aber Meinungsfreiheit etc durch die Fensterschlitze des Steuerrechts als alter Herr einer zweier katholischer Studentenverbindungen sieht - sollte vllt doch mal die Fenster öffnen & sich frische Luft um die Nase & ins Hirn wehen lassen.



    Schon sein KAvorgänger & Bruder Paul Kirchhof - Nepotismus läßt grüßen - Kompetenzteam Angie - war mit ähnlich blindbeschlagenen Fenstern gesegnet & trat mit reaktionären Äußerungen in Erscheinung.

    unterm——



    Kirchhof tritt in die Fußstapfen des Bruders



    www.welt.de/politi...n-des-Bruders.html



    “… Als Richter des Bundesverfassungsgerichts bereitete er als zuständiger Berichterstatter das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010[4] zu Hartz IV[5] vor.

    Kirchhof ist seit 1971 Mitglied der katholischen Studentenverbindung KDStV Hercynia Freiburg im Breisgau sowie von 1973 bis 1974 und seit 2011 der K.D.St.V. Ferdinandea-Prag zu Heidelberg.“



    www.faz.net/aktuel...essor-1957369.html



    “…Und Kirchhof wird weiterhin öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht im forschungsfreundlichen, beschaulichen Tübingen lehren, fernab sozialer Brennpunkte. …“



    de.wikipedia.org/w...Ferdinand_Kirchhof



    & Bruder Paulchen - nur mal z.B. - ;(



    “In der Kontroverse um das Lebenspartnerschaftsgesetz im Jahr 2001 leitete Kirchhof aus Art. 6 Grundgesetz, der Ehe und Familie unter den „besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ stellte, ein Abstandsgebot ab, welches eine rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe verbiete.…“ & ff

    “…Kirchhof ist Mitglied der katholischen Studentenverbindungen K.St.V. Rheno-Palatia Freiburg, K.St.V. Saxonia München, K.S.St.V. Alemannia München sowie Ehrenphilister des K. St. V. Arminia Bonn im KV. Er ist seit 2016 Ehrenmitglied der K.D.St.V. Ferdinandea/ Prag, Bamberg zu Heidelberg im CV ...“

    Na Mahlzeit

  • Wenn man der Logik von Herrn Kichhoff folgt, dann dürften Talkshows wie "Hart aber fair" nicht mehr live ausgestrahlt werden. Der Faktencheck müsste vor der Ausstrahlung der Sendung erfolgen und Behauptungen, die den Faktencheck nicht bestehen, müssten entfernt werden.

    • @vulkansturm:

      Klar - da wäre guter Rath teuer. Gelle.

      Ha no. Normal schonn.

      unterm——But!;(



      Wenn ich mir diese beiden lausigen Rechtsexperten - den bedauernlosen Kurnaz-Guantanamo-Fingerer exSeminarjungspund & den verkatolten Steuerfuchser so dreist grinsebackig a Fotto anschaue.

      Denke ich - “&… heute schon geko…*?*

      Naja - Wer will dess solcherhalb dann bei so einen Thema - gar noch genauer wissen. Gellewelle. Ooch wieder wahr!

      kurz - Rein tonn katolsch warrn.

  • Wer etwa mit seinem echten Namen Kritik am türkischen Staatspräsidenten übt, sollte besser nicht mehr in die Türkei reisen, weil er dort Gefahr läuft, wegen in Deutschland geposteter Kritik verhaftet zu werde. Es hat also durchaus auch Vorteile, wenn man Kritik anonym posten kann. Solange die Kritik sachlich bleibt, sehe ich da kein Problem. Hetze und Hass sollte aber nicht veröffentlicht werden dürfen, egal ob mit Klarnamen oder anonym.



    Was die Lügen angeht, so ist das ein schmaler Grad. Wer entscheidet, was wahr und was falsch ist? Herr Kirchhoff will zurecht kein Wahrheitsministerium. Aber ist es nicht noch viel problematischer, wenn ein privates Unternehmen wie Facebook darüber entscheidet, was wahr ist?



    Wären sachliche Richtigstellungen nicht besser als das Verbot echter oder vermeintlicher Lügen?

  • „Faktenchecks finden junge Leute spannend.“ Nur dass wir inzwischen gesichert wissen, dass sie an der Wirkung der Desinformation nichts ändern. Es geht bei fake news Propaganda um das schrittweise umformatieren der vorbewussten, spontan emotionalen Reaktionsmuster, das hohe Intensitätsniveau der Gestaltung soll das unterstützen.

    Die einzelne fake news und ihr Wahrheitsgehalt sind komplett irrelevant, da es auf das Wiederholen der affektiven Impulse ankommt, um einen Lerneffekt zu erzeugen. (Daher auch die Fixierung der Propaganda auf memes.) Bildung hilft vermutlich, dem etwas entgegensetzen zu können, Faktenchecks allein sind dabei ungenügend.