Ex-Refugee über Geben und Nehmen: „Geflüchtete wollen gerne helfen“
Als Hussam Al Zaher 2015 nach Hamburg kam, halfen ihm Freiwillige. Viele der Geflüchteten von damals wollen jetzt etwas zurückgeben, meint er.
taz: Herr Al Zaher, sind Menschen in Deutschland solidarisch?
Hussam Al Zaher: 2015 gab es ein schönes Bild der Willkommenskultur und es gab eine große Solidarität in der Gesellschaft mit Geflüchteten. Damals haben sechs Millionen Freiwillige fremden Menschen geholfen. Ich selber habe dadurch tolle Leute kennengelernt und gute Freunde gefunden.
Erkennen Sie diese Solidarität in der aktuellen Corona-Krise wieder?
Ja, aber gleichzeitig ist die Struktur eine andere. Jetzt brauchen hauptsächlich ältere Menschen Hilfe. Junge Menschen sind aktiv und haben Internetseiten und Gruppen in sozialen Netzwerken gegründet. Das finde ich super, aber ich glaube es ist leider das falsche Format, weil die Leute, die Hilfe brauchen, nicht im Internet sind.
Und wie lassen sich diese Menschen erreichen?
Große Einrichtungen wie die Diakonie oder die Caritas sind besser vernetzt, aber das Problem ist da die Bürokratie. Sie kann nicht schnell reagieren. Gerade in dieser Zeit muss man aber schnelle Lösungen finden. Vielleicht kann da eine Zusammenarbeit zwischen den engagierten Leuten und den großen Initiativen entstehen. Viele der Menschen, die jetzt helfen wollen, haben auch 2015 schon geholfen. Damals ging es um Fremde, jetzt um Menschen im eigenen Stadtteil, um Nachbarn.
Sie sehen also einen Einfluss der Willkommenskultur auf das Ehrenamt heute?
Die Willkommenskultur hat, meiner Meinung nach, einen großen Einfluss auf die jetzige Situation. Es sind die gleichen Leute, die sagen: „Wir warten nicht auf die Regierung, sondern machen das selber!“ Die Netzwerke, die damals entstanden sind, können wieder aktiviert werden. Sie wissen, dass Sie das zusammen vielleicht besser schaffen können als die Stadt.
Wie hat solidarische Hilfe Sie persönlich beeinflusst?
Es hat mir total geholfen. Die Projekte und Kontakte waren sehr wichtig. Damit ich mich hier in die Gesellschaft integrieren kann, muss ich die Menschen kennenlernen. Und nur durch Freiwillige konnte ich sie kennenlernen und die Gesellschaft verstehen. So konnte ich weitermachen und mich einfinden.
Und jetzt bieten Sie auch Hilfe an?
Es gibt eine Plattform in Hamburg, die „Wir sind Nachbarn“ heißt. Dort kann man sich anmelden, wenn man Hilfe braucht oder anbieten möchte. Die Idee war, für dieses Portal Informationen in verschiedene Sprachen zu übersetzen, um mehr Menschen zu erreichen. Das habe ich für Arabisch gemacht. Es ist ein kleiner Beitrag, den ich neben meiner Arbeit gerade leisten kann.
Welche Informationen werden dort übersetzt?
Beispielsweise Hilfe für Anträge, die jetzt gestellt werden müssen. Aber auch Informationen, wie sich die Menschen engagieren können. Momentan ist ein großes Thema, dass Hilfe auf dem Land bei der Ernte gebraucht wird. Viele Geflüchtete wollen gerne helfen. Deswegen versuche ich auch in diesem Bereich weiterzuvermitteln: Wo gibt es Formulare und Webseiten, um sich anzumelden, und wo wird anderweitig Hilfe benötigt, beispielsweise in Form von Blutspenden. Es gibt viele Geflüchtete, die der Gesellschaft jetzt etwas zurückgeben wollen.
Können Sie dieses Gefühl nachvollziehen?
Sehr gut sogar! Ich habe mich vor drei Jahren schon gemeldet, um Menschen freiwillig zu unterstützen, im Altersheim oder für Gärtnerarbeiten. Viele Geflüchtete möchten zeigen, dass sie auch unterstützen können. Uns fehlen jedoch Informationen und Anlaufstellen, wo wir das machen können. Leider wurde bisher wenig umgesetzt und die Struktur fehlt in diesem Bereich. Hilfe alleine anzubieten, ist schwer.
Warum?
Ich kann mir vorstellen, dass einige Senioren, die Hilfe brauchen, Geflüchteten nicht vertrauen. Vertrauen ist aber sehr wichtig, um Hilfe anzunehmen. Wenn ein Flüchtling allein Hilfe anbietet, könnte es also schwierig werden. Wenn er aber in einem größeren Rahmen, also über die Diakonie zum Beispiel, seine Hilfe anbieten kann, wird die vielleicht einfacher angenommen. Auf der anderen Seite können viele Geflüchtete nicht helfen, weil sie nicht gut Deutsch sprechen. Sie können auch nicht einfach zum Jobcenter gehen und sagen, dass sie als Erntehelfer arbeiten möchten. Das bürokratische System in Deutschland ist unflexibel. Es müsste einfacher sein, jetzt zu helfen.
31, ursprünglich aus Damaskus, lebt seit 2015 in Hamburg und ist seit 2017 Gründer und Chefredakteur des Magazins Flüchtling.
Kann die aktuelle Situation auch eine Chance sein, um Geflüchtete stärker in die Gesellschaft einzubinden?
Auf jeden Fall. Überall wird Hilfe benötigt und wir sind in jeder Stadt, in jeder Nachbarschaft. Es ist ein Prozess von uns als Geflüchtete, die Chance zu ergreifen und zu sagen, dass wir nicht nur Menschen sind, die Geld oder Hilfe brauchen, sondern auch zu zeigen, dass wir engagiert sind und auch in schwierigen Zeiten der Gesellschaft etwas zurückgeben können.
Ist das auch ein Grund, weshalb Sie 2017 das „Flüchtling“-Magazin gegründet haben?
Überall wurde über uns Flüchtlinge berichtet. Als Journalist habe ich mich gefragt, warum ich nicht direkt meine Meinung sagen und meine Perspektive erklären kann. Ich wollte gerne mit den Deutschen diskutieren und mich austauschen. Deswegen schreiben wir unsere Artikel auch alle auf Deutsch, weil wir die Menschen hier ansprechen wollen. Wir möchten uns vorstellen und zeigen, dass wir unterschiedliche Menschen sind. Wir sind Ärzte, Journalisten und Lehrer. Nicht nur Menschen, die arm und hilflos sind, sondern auch Menschen, die die Gesellschaft weiterentwickeln können und sich integrieren möchten.
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