Ex-Akademiker über Pornoindustrie: „Porno hat die Mächtigen gestürzt“
Weil ihn sein Job an der Uni langweilte, entschied sich Conner Habib für eine Karriere als Pornodarsteller. Nun versucht er die Akademie mit dem Porno zu versöhnen.
taz: Herr Habib, ist es eigentlich problematisch, intelligent zu sein und in Pornofilmen mitzuspielen?
Conner Habib: Lassen Sie mich es auf diese Weise erklären: Es ist immer problematisch, intelligent zu sein, egal, was Sie machen.
Bevor Sie in die Pornoszene einstiegen, strebten Sie eine akademische Karriere an.
Ich hatte schon alles vorbereitet, um Englischprofessor zu werden. Ich zog nach Kalifornien und hatte einen Job an der Uni.
Was passierte dann?
Ich sagte den Job ab und dachte, da ist doch diese andere Sache, die ich immer machen wollte.
Der US-Amerikaner will sein Alter nicht verraten. Habib ist Autor, Sexkolumnist und Pornostar. An der Universität in Massachusetts, Amherst, machte er seinen Master of Fine Arts in fiktionalem Schreiben und studierte Biologie. Drei Jahre lang unterrichtete er Literatur und kreatives Schreiben. Habib lebt in San Francisco, wo er eine spirituelle Gruppe mit Fokus auf Rudolf Steiners Anthroposophie leitet. Er hat in über 100 Pornoszenen mitgespielt. Derzeit arbeitet er an seinem Buch über Sex und Kultur, das 2014 erscheinen soll.
Sie haben sich bewusst gegen eine akademische Laufbahn und für die Pornoindustrie entschieden?
Ja. Ich wurde damals für einen Werbespot engagiert und die Leute, die den Film drehten, arbeiteten eng mit einer Pornofirma zusammen. So fing ich an.
Mittlerweile versuchen Sie, beide Professionen miteinander zu verbinden. Sie drehen weiter Pornos und halten an Unis und Museen Vorträge.
Ich will einfach alles machen. Ich habe Biologie und kreatives Schreiben studiert. In San Francisco leite ich eine spirituelle Gruppe, halte Vorträge und spiele eben auch in Pornofilmen mit. Die Idee eines Spezialistentums halte ich für problematisch, weil man nicht das große Ganze sieht.
Wann begann eigentlich Ihre Faszination für die Pornoindustrie?
Ich wollte ins Pornogeschäft seit ich 12 Jahre alt bin.
Das ist sehr jung.
Ich habe schon vorher Pornos gesehen. Die Menschen in meiner nahen Umgebung begannen darüber zu reden, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Mit der Pubertät wurde mir bewusst, dass alle die ganze Zeit über Sex reden. Und auf dem Bildschirm sind Menschen, die genau das machen. Es ist deren Arbeit, sich selbst und den Menschen am Bildschirm Lust zu bereiten. Warum will man das nicht machen?
Das ist nicht immer einfach. Im März sollten Sie an einem College über Sex und Gesellschaft reden. Sie wurden in letzter Minute ausgeladen, als die Präsidentin herausfand, dass Sie noch aktiv Pornos drehen. Hat Sie das überrascht?
Total. Sie haben erst den Vertrag unterschrieben und dann den Vortrag abgesagt. Das ist ziemlich ungewöhnlich.
Sie sind trotzdem hingefahren und haben in der Stadtbücherei Ihren Vortrag gehalten.
Und es sind viele Leute gekommen, um mir zuzuhören. Ich sprach darüber, wieso ich Pornos drehen will.
Herrscht in unserer Gesellschaft eine falsche Auffassung von Pornografie?
Es herrscht überhaupt keine Konzeption, keine Auffassung. Pornografie ruht auf einer einfachen Annahme, dass sie schmutzig sei – da ist kein Denken dahinter und schon gar nicht ein Konzept. Du glaubst halt die Idee, die dir jemand anderes hinhält. Menschen bilden sich nicht ihre eigene Meinung oder ergründen ihre eigenen Gefühle zu dem Thema.
Der Porno kann also eine eigene subversive Kraft entwickeln und politisch sein?
Auf jeden Fall. In dem Sinne, dass er Sexualität in den Blick der Öffentlichkeit bringt. Im 17. Jahrhundert wurden pornografische Bilder benutzt, um gegen die Autoritäten vorzugehen. Das waren Zeichnungen von Königen und religiösen Figuren, die in den Arsch gefickt wurden oder Ähnliches. Das hat die Mächtigen dann auch immer gestürzt. Wenn man einen eigenen Teil der Sexualität versteckt und jemand anderes das enthüllt, verliert man an Macht. Wenn man allerdings selbst seine Sexualität offen preisgibt und sagt, das bin ich, das ist ein Teil von mir, gewinnt man an Macht.
Viele Feministinnen würden Ihnen da widersprechen. Für sie ist der Porno kategorisch schlecht, führt zur Objektifizierung.
Es ist ja auch nicht alles gut im Feminismus. Die Anti-Porno-Kampagne arbeitet mit den dümmsten Argumenten. Erst einmal muss man erkennen, dass wir alle aus Material bestehen und demnach Halb-Objekte sind. Die Idee, jemanden also nicht zu objektivieren, ist komplett lächerlich. Laut den Anti-Porno-Feministinnen haben die Menschen in der Pornoindustrie keine eigenen Gedanken, keine Autonomie. Das macht alle, die in der Industrie arbeiten, zu leblosen Objekten. Das ist Entmenschlichung. Sie kommen nicht zu uns und hören unserer Community zu. Das ist Heuchelei.
Gibt es überhaupt eine Art von Community?
Ja und nein. Es gibt eine Community für Sex-Worker. Aber keine im Sinn einer einheitlichen Stimme. Wir sind ja auch alle aus unterschiedlichen Gründen dabei. Aber es gibt eine Sache, die uns vereint: Wir alle haben uns auf den Job beworben. Wenn die Anti-Porno-Aktivisten sich ernsthaft für die sexuelle Objektivierung interessieren würden, würden sie verstärkt ihr Augenmerk auf wirklich objektivierende Kräfte konzentrieren. Gerade die Wissenschaft ist die eine objektivierende Kraft auf der Erde, aber die kritisieren sie nicht.
Allerdings wurden auch ehemalige Pornostars zu Anti-Porno-Aktivisten.
Ja, das stimmt. Aber viele von uns hören früher oder später auf und sind eben nicht zu Anti-Porno-Aktivisten geworden.
Was ist eigentlich das Problematische an der Vermischung von Pornografie und Akademie? Immerhin kann man mittlerweile auch Porn-Studies studieren.
Ich weiß es nicht. Vor allem drehen wahrscheinlich viele Professoren Pornos, die sie aber nicht vertreiben oder nur auf Internetplattformen wie Xtube stellen. Außerdem gibt es Kunstprofessoren, die Dinge getan haben, die als Pornografie verstanden werden können.
Nun gut. Aber das war eben in einem Kunstkontext.
In Pornos hat man diese vorhersehbare Struktur und die ist sehr oft Müll, aber trotzdem ist es Kunst. Wir müssen uns von der Idee von Kunst als Tugend verabschieden. Und wenn die Fotografie als Kunst gilt, dann muss das auch für die Pornografie gelten.
Ähnelt der Porno nicht eher dem Hollywood-Film?
Eher der Popmusik. Pornografie hat den gleichen strukturellen Bogen, die ganze Zeit, wie Popmusik, Strophe/Refrain/Strophe. Popmusik hat auch die gleiche Idee wie Pornos, es bringt Leute zum Mitsingen, dann ist es vorbei und sie werden es vergessen. Und du kannst mit Pornos auch mitsingen, das ist es, was Masturbation ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen