Evelio Rosero "Zwischen den Fronten": Paradies in Trümmern
Es ist schwierig, über gewalttätige Verhältnisse einen lesbaren und unterhaltsamen Roman zu schreiben. Dem Kolumbianer Evelio Rosero ist mit "Zwischen den Fronten" ein solcher gelungen.
In Evelio Roseros eindrückliche Parabel über den kolumbianischen Bürgerkrieg ist die Hauptfigur der pensionierte Lehrer Ismael, ein passionierter Erotomane. Er lebt zusammen mit seiner Frau Otilia, früher ebenfalls Lehrerin, in dem kleinen Dorf San José. Der Ort ist zwischen die Fronten des kolumbianischen Bürgerkriegs geraten, mal von diesen, mal von jenen besetzt. Nach Roseros literarischer Schilderung spielt es dabei für die Bewohner kaum eine Rolle, ob von der Staatsmacht, den Paramilitärs oder der Guerilla. Die Menschen werden entführt, aus politischen oder finanziellen Erwägungen. Man weiß nicht, warum, aber sie sterben schneller als die Hühner.
Rosero stellt dies im Verlauf der spannenden Handlung manchmal drastisch dar, etwa wenn der lokale Militärkommandant die Passanten in San José wie Hunde abknallen lässt. Literarisch wird das gemildert und erzählbar durch den fast schon surreal zu nennenden Blick seiner Hauptfigur, den Icherzähler Ismael. Der realisiert alles, ohne sich noch konkret gemeint oder beteiligt zu fühlen, obwohl er es natürlich ist. In diesem kolumbianischen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt steht Ismael zu Beginn der Handlung auf einer Leiter im Garten und pflückt Orangen. Besser: Der Greis tut so, als pflücke er in seinem Paradiesgarten Orangen. Denn in Wirklichkeit beobachtet er "die Frau des Brasilianers", die schöne Geraldina, die nackt auf der Terasse liegt, Wein trinkt, unbekleidet und unschuldig zur Mauer schreitet und mit Ismael spricht.
Der alte Mann und die Verführerin. Das anfängliche Paradies wird bald in Trümmern liegen. Geraldina wird sich vermummen und über ihrer Haut das Schwarz der Trauer tragen.
Und Ismael, der harmlose Erotomane? Er wird immer verwirrter und verzweifelter nach seiner geliebten Otilia suchen; ohne die er nicht leben kann und die er auch nicht finden kann, mit seinem durch Altersschwäche verschleierten Blick. Seine Altersdemenz lässt ihn furchtlos durch San José schreiten und die Veränderungen, die die Kriegshandlungen mit sich bringen, wie ein Traumwandler wahrnehmen und in einer Art inneren Monolog kommentieren. Roseros Roman schildert schlüssig die Ausweglosigkeit derer, die in Kolumbien auf dem Lande in schwer zu durchschauende Kriegshandlungen geraten.
Die Stärke des Romans besteht darin, dass er dabei die Vielschichtigkeit der menschlichen Persönlichkeit zur Geltung bringt. Gerade vor der miesen Realität.
Der alte Greis und die Frauen des Romans sind interessanter als die vielen Knallerbsen um sie herum. Evelio Rosero ist ein großer Humanist und seine kleine Geschichte unbedingt lesenswert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!