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EvakuierungWanted: Mann mit Revolver

Nach einem Notruf evakuiert die Polizei das Oberschulzentrum Handel an der Wrangelstraße. Ein Mann soll dort gedroht haben, jemanden zu töten. Im Gebäude findet sich aber niemand

Polizisten verlassen das Oberstufenzentrum Handel Bild: ap

Polizeiwannen und dunkle Wagen rasen auf die Kreuzung Skalitzer/Wrangelstraße. SEK-Beamte springen heraus, ziehen sich Skimützen übers Gesicht, schimpfen auf eine Fahrradfahrerin, die sich zwischen ihnen hindurchdrängelt. Um 9.15 Uhr stürmen die Beamten in Richtung des Oberstufenzentrums Handel, eines mächtigen Backsteingebäudes, das fast den ganzen Block einnimmt. Hinter ihnen sperren Polizisten die Wrangelstraße ab.

Eine Straßenecke weiter, an der Ecke Zeughofstraße, drängen sich aufgeregte SchülerInnen hinter dem rot-weißen Band. Um neun Uhr sei der Feueralarm losgegangen, alle Schüler sollten die Schule verlassen, so schnell wie möglich, und jetzt stehen sie da, in der Sonne, reden aufgeregt in ihre Handys und machen Fotos von der Polizei, die ihre Schule umstellt hat. Von einer Geiselnahme ist die Rede, von einem jungen Mann, der mit der Waffe in die Schule gestürmt sein soll. Aber noch sind das alles Gerüchte, niemand weiß etwas Sicheres.

Die ersten Fernsehteams rücken an, Fotografen richten ihre Teleobjektive auf den Eingang der Schule. Mehr Autos fahren heran, erneut gehen SEK-Beamte, das Maschinengewehr quer über den Rücken, zum Schuleingang.

Eine Polizeisprecherin gibt erste Informationen: Um kurz nach neun habe die Polizei ein Notruf von der Schulleitung erhalten, ein Schüler soll gesehen haben, wie eine bewaffnete Person die Schule betreten habe. Ob es sich um jemanden mit Verbindungen zur Schule oder einen Schulfremden handele, sei unbekannt. "Alle Schüler und Lehrer haben das Gebäude verlassen", sagt die Sprecherin. Die Polizei durchsuche nun das Haus. Das dauert: Das Oberstufenzentrum Handel ist die größte Schule Europas, über 6.000 Schüler besuchen die verschiedene Ausbildungsgänge, von der Fach- und Berufsschulen bis zur gymnasialen Oberstufe.

Derweil gehen unter den Schülern die Spekulationen weiter. "100 Prozent sind da Geiseln drin", sagt Hans, ein braungebrannter 20-Jähriger mit weißen T-Shirt und dunkler Sonnenbrille. Als der Alarm losging, war Hans im Hauptgebäude. Wie bei Feueralarm üblich seien die Schüler auf den Hof gegangen, dort habe schon die Polizei gestanden. Über eine Stunde mussten die Schüler auf der Wiese auf dem Hof warten, teilweise wurden sie durchsucht, bevor die Polizei sie vom Gelände brachte.

Eine Freundin, die zuhört, hat vom Alarm nichts mitbekommen. Sie stand in der Pause vor dem Eingang und rauchte, "da hätte uns ein Polizeiauto fast umgefahren". Auch sie glaubt, dass noch Geiseln in der Schule seien, sie hat gar von vier Bewaffneten gehört.

Um 11 Uhr wird erneut eine kleine Gruppe von Schülern von der Polizei vom Schulgelände geleitet. Überall Kameras und Mikrofone, Journalisten drängen sich um die verbliebenen Schüler und Lehrer. Sie wollen wissen, wie hoch der Anteil von Migranten unter den Schülern ist, ob die Stimmung an der Schule aggressiv sei, von Gewalt geprägt.

"Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das einer von unseren Schülern ist", sagt Hartmut Brandt. Der 64-Jährige unterrichtet Wirtschaft und Handelsbetriebslehre, er ist hier Lehrer, seit die Schule 1979 geöffnet wurde. "Eigentlich geht es bei uns sehr ruhig zu, das Zusammenleben ist friedlich", sagt er, "trotz der Vielfalt, der Mischung unter den Schülern."

Nach über vier Stunden bricht die Polizei die Suche ab. Einen Verdächtigen hat sie nicht gefunden. "Wir vermuten auch nicht, dass sich dort noch jemand aufhält", sagte Polizeisprecher Bernhard Schodrowski. Von einem schlechten Scherz will auch am Nachmittag, als die Anspannung nachlässt, niemand sprechen. Jetzt gehe es darum, festzustellen, wer was gesehen habe, so Schodrowski. Diese Leute würden ausgiebig befragt.

Danach scheint sich zu bestätigen, dass eine verdächtige Person vor der Schule gewesen ist. Die Polizei fahndet nun nach einem einen Mann zwischen 20 und 25 Jahren. Er soll einen Revolver getragen haben. Schüler hätten gehört, wie der Verdächtige drohte, jemanden umzubringen, teilte die Polizei mit. Das alarmierte Schulsekretariat habe dann die Polizei gerufen, die mit einem Großaufgebot von mehr als 200 Beamten anrückte, den Schulkomplex samt Schulhof weiträumig abriegelte und komplett räumte.

Der Verdächtige hat den Angaben zufolge kurze blonde Haare und trug eine Jeans sowie einen roten "Lacoste"-Pullover. Den Äußerungen des Verdächtigen war laut Polizei zu entnehmen, dass er Verbindungen nach Marzahn haben könnte. Er soll in Begleitung eines zweiten jungen Mannes in der Schule gewesen sein. "Die Hintergründe des Vorfalls sind derzeit noch völlig unklar", hieß es im Polizeibericht.

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