Eva Menasse über Datenmissbrauch: „Ende der Meinungsfreiheit“
Bestimmte Bürgerrechte sind längst außer Kraft gesetzt, sagt die Österreicherin Eva Menasse. Sie ist Mitinitiatorin des Schriftsteller-Aufrufs gegen die Schnüffelei.
taz: Frau Menasse, warum verdient gerade die Überwachung Ihren Einsatz? Warum nicht Hungersnot oder Rassismus?
Eva Menasse: Weil wir das Gefühl haben, dass auf einer höheren Ebene unsere Demokratien angegriffen und unterhöhlt werden. So schrecklich Kriege und Gewaltverbrechen sind, damit hatte die Menschheit immer schon zu tun. Das hier ist etwas Neues, schon wegen der technologischen Entwicklungen. Viele können die Implikationen dabei noch gar nicht einschätzen.
Einer Ihrer Protagonisten spricht einmal von einem „direkten Weg in den Totalitarismus“ – ist die Überwachung der erste Schritt auf diesem Weg?
Eine vollkommen überwachte, abgehörte, ausgespähte Gesellschaft, bei der jede Lebensäußerung daraufhin abgecheckt wird, was algorithmisch daraus folgt, ist keine freie Gesellschaft mehr. Das ist das Ende der demokratischen Gesellschaft. Es ist auch das Ende der Meinungsfreiheit, wenn die Maschinen unsere Gedanken lesen können. Bürgerrechte, wie zum Beispiel die Unschuldsvermutung oder das Briefgeheimnis, existieren heute nicht mehr. Sie sind durch den Wilden Westen des Datenmissbrauchs außer Kraft gesetzt.
Als Autorin sind Sie sowieso eine öffentliche Person. Haben Sie überhaupt eine Chance, der Überwachung zu entkommen?
Im Moment hat niemand diese Chance. Das Putzige an unserer Aktion war, dass sie auf hunderten E-Mails beruht, die wir an Autoren weltweit geschrieben haben und dass jede dieser Mails natürlich mitgelesen und gespeichert wurde. Aber es geht darum, dass wir eine Wahl haben, zu sagen was wir wollen und was nicht. Es ist eine glatte Lüge der Politik zu sagen: Man kann hier nichts machen, das sind die technischen Entwicklungen, das ist alles supranational, da haben wir keinen Zugriff. Wir haben es geschafft, die atomare Abrüstung einzuleiten und die Treibhausgase einzuschränken. Es ist ein harter und steiniger Weg, aber wir können ihn schaffen.
43, österreichische Journalistin und Schriftstellerin. Seit 2003 lebt sie in Berlin. Zusammen mit Günter Grass unterstützte sie die rot-grüne Regierung bei den Wahlen 2005.
Ganz ehrlich: Ist die Aktion nicht auch gute PR für Sie und Ihre Arbeit?
Uns kennt ja keiner. Werbung für uns selbst ist das überhaupt keine. Im Gegenteil, in Deutschland gibt es eher die Tendenz zu sagen, der politische Autor macht sich wichtig, der ist peinlich. Also, wenn wir uns schaden, dann in Deutschland.
Und warum engagieren Sie sich trotz Peinlichkeitsgefahr?
Weil ich das Gefühl habe, dass die Überwachung eine der großen Herausforderungen unserer Demokratie ist, und weil das nicht verstanden wird. Das ist etwas, was mich als ein in einer Demokratie aufgewachsenes glückliches Kind wahnsinnig macht. Dieses Desperate, dieses „Wir können nichts tun“. Da schrillen alle Alarmglocken in mir.
Aktualisieren Sie also Sartre für das 21. Jahrhundert?
Ich würde sagen, wir zitieren Orwell. Hat den eigentlich jemand gelesen? Hat jemand Kafka gelesen oder Ray Bradbury? Lest das mal, Leute, dann wisst ihr, warum wir kämpfen. Ich selbst schreibe keine politischen Romane, aber ich bin ein politischer Mensch. Heinrich Böll hat gesagt: „Ein Schriftsteller ist auch Bürger, im besten Fall ein artikulierter.“ Wenn ich als Bürger bedroht bin, dann ist mein ganzes Schaffen bedroht. Und dann ist es egal, ob man Bäcker ist oder Schriftsteller. Das ist die Front, an der ich jetzt kämpfe.
Ist Literatur nicht allein deswegen politisch, weil sie einen Gegenraum schafft?
Das kommt auf die historische Perspektive an. Als Kafka seine Erzählung „Die Verwandlung“ geschrieben hat, wurde sie zum damaligen Zeitpunkt vermutlich nicht besonders politisch verortet. Erst mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts ist sie zu einer Literatur geworden, die heute extrem politisch anmutet. Literatur ist dazu gemacht, dass sie ewig bleiben soll. Und dadurch verändert sich ihre Bedeutung.
Was können Sie konkret verändern? Wollen Sie eine digitale Polizei einbauen?
Wir fordern in unserem Appell internationale digitale Menschenrechte. Das heißt, wir fordern, dass die Rechte an den Daten den Bürgern zurückgegeben werden müssen. Das ist nur ein Anfang. Ich denke, unser Aufruf wird etwas zu der allgemeinen Sensibilisierung für dieses Thema beitragen. Und wir werden nicht aufhören, politische Forderungen zu stellen, gerade auch an die neue Bundesregierung.
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