Eurovision Song Contest: Wer gewinnt den ESC in Basel?
Bara bada bastu oder doch Ballalalalalalala? Lesen Sie hier, welche Acts die größten Chancen auf einen der vorderen Plätze haben.
1 Norwegen: Kyle Alessandro – „Lighter“ Sowohl Schweden als auch Norwegen bringen Feuer auf die ESC-Bühne. Kyle Alessandro macht indes nicht recht klar, was er mit seinem Song eigentlich will. Zwar nicht grottig, aber eher lauwarm und lärmend. Platz 19.
2 Luxemburg: Laura Thorn – „La poupée monte le son“ Erinnerungslied an die einstige, mittlerweile gestorbene ESC-Siegerin France Gall. Die 25-jährige Chanteuse zieht ihre Show ehrenhaft durch, mit hübschem Happy End. Platz 20.
3 Estland: Tommy Cash – „Espresso macchiato“ Ein abgedrehtes Musical im Kurzformat, auf gebrochenem Englisch obendrein. Superentertainment. Schräge Dance-Moves. Überaus trashy, im besten Sinne. Platz 5.
4 Israel: Yuval Raphael – „New Day Will Rise“ Die Überlebende des 7. Oktober singt im stimmigsten Bühnenbild, eine Treppe zum Himmel heraufschreitend, über ihr Leid obsiegend. Triumphballade auf der Höhe kompositorischer Kunst. Platz 2.
5 Litauen: Katarsis – „Tavo akys“ Eine Seltenheit beim diesjährigen ESC: Band plus Indie-Rock, erfrischend. Erinnert ein wenig an Muse. Der Sänger trägt die schönste Frise, passend zum Lied. Platz 13.
6 Spanien: Melody – „Esa diva. Melody“ Diva Melody, nicht mehr die jüngste unter allen ESC-Diseusen, fühlt ihren autobiografischen Song, und das Publikum fühlt mit. Ihre Performance erinnert an Beyoncé und Lady Gaga. Runde Nummer. Platz 14.
7 Ukraine: Ziferblat – „Bird of Pray“ Folk-Rock aus dem russisch bekriegten Land, interessante Tonwechsel, die zur etwas desparaten Inszenierung passen. Nie blieb dieses Land seit seinem Debüt 2003 im Halbfinale hängen. Platz 18.
8 Vereinigtes Königreich: Remember Monday – „What the Hell Just Happened?“ Ja, UK: What the Hell Just Happened? Bisschen zu viel Barbie auf miesen Pillen geschaut? Die Basic-Bitch-Girl-Band wirkt aus der Zeit gefallen, der Song hat Castingshow-Niveau. Platz 26.
9 Österreich: JJ – „Wasted Love“ Filigranes, in queeren Stimmlagen aufgebotenes Elektrocouplet, das der Interpret* delikat und in anspruchsvoller Bühnendeko zubereitet. Platz 4.
10 Island: Væb – „Róa“ Sehr junge Jungs, die mit schrillen Brillen und ravigen Moves, teils schwimmend, um Anteilnahme buhlen. Sympathischer Krach. Wird nicht übel abschneiden. Platz 11.
11 Lettland: Tautumeitas – „Bur man laimi“ Amazonenhaft. Die Stimmen der sechs Frauen sind bei all dem Inszenierungsgewusel überhörbar. Starker Kontrast zwischen Refrain, der überzeugt, und Strophen, die wünschen lassen, dass der Refrain wieder ertönt. Platz 25.
12 Niederlande: Claude – „C’est la vie“ Erfüllt alle Kriterien eines beliebten ESC-Songs, der im oberen Mittelfeld landet. Aufgrund generischer und repetitiver Lyrics eingängig, kommt bei Radiosendern bestimmt gut an, plätschernd-sympathisch. Platz 10.
13 Finnland: Erika Vikman – „Ich komme“ Eine der besten Performances dieses Jahr, sexuell verständlich – oder auch nicht, verachtet von so manchem Geschmacksbürgertum. Erika liefert ab – selbstbewusst und stark. Mitfavorisiert. Platz 3.
14 Italien: Lucio Corsi – „Volevo essere un duro“ Ein nicht mehr junger Mann singt davon, nicht zu wissen, was er als Mensch, ja Mann taugt. Mama taucht in seinem Canzone auf, sie weiß indes auch keinen Rat. Eleganteste Performance der Eurovisionsnacht. Platz 8.
15 Polen: Justyna Steczkowska – „Gaja“ 1995 vertrat sie schon einmal ihr Land, „Sama“ ihr Lied, eines der suggestivsten der ESC-Geschichte, blieb aber durch einen hinteren Rang düpiert. Jetzt, 30 Jahre reifer, wird sie beweisen, dass mit Pomp konventioneller Art mehr Punkte geerntet werden können. Schwach. Platz 24.
16 Deutschland: Abor & Tynna – „Baller“ Stefan Raab, ESC-ehrgeizig, weil wettbewerbsliebend, hat sie zu seinen Schützlingen erkoren. Elektrolastiger Pop, knallt bzw. ballert rein. Man muss hoffen, dass die Stimme des weiblichen Teils des Geschwisterduos etwas stabiler trägt. Nein, wird gar nicht letzter. Platz 9.
17 Griechenland: Klavdia – „Asteromata“ Repräsentiert in greko-artiger Kargheit plus Brille im Nana-Mouskouri-Memory-Style eine Geschichte, die von Sehnsucht und sonst was handelt. Platz 21.
18 Armenien: Parg – „Survivor“ Kraftvoller Post-Techno-Ultrapomp-Song mit entblößtem Oberkörper – kunstvoll auf „schmutzig“ geschminkt – dargeboten. Platz 22.
19 Schweiz: Zoë Më – „Voyage“ Absolutes Kontrastprogramm zu allen aufgepimpten Bühnenshows des Abends. Erholsam in jeder Hinsicht, ganz alte Grand-Prix-Schule. Schlussendlich aber doch eine Versicherung des Schweizer Fernsehens, den ESC nächstes Jahr nicht wieder ausrichten zu müssen. Platz 7.
37 Länder nehmen an diesem 69. Eurovision Song Contest – 11 von ihnen sind in den Semifinals am Dienstag und Donnerstag bereits ausgeschieden.
Trends: Feuerspots und Materialgebirge
Teilnehmen dürfen prinzipiell alle Mitgliedssender der über Europa hinausreichenden Eurovisionskette, zu ihr gehören auch Sendeanstalten des Maghreb und Nahen Ostens, auch Australien. Tunesien und Libanon wollten einmal mitmachen, machten aber den Rauswurf Israels zur Bedingung. Marokko nahm zwar teil, 1980, doch nur, weil Israel selbst pausierte.
Abstimmung: die Hälfte per Jurys aller 37 Länder (inkl. jener, die in den Semifinals ausschieden), die andere Hälfte per Televoting.
Sendungen: ARD, Kommentator: Thorsten Schorn und digital im Stream auf www.eurovision.tv.
Besonderheiten dieses ESC: Russland und Belarus dürfen nicht teilnehmen, weil deren öffentlich-rechtliche TV-Sender nicht den eurovisionären Maßstäben von Staatsferne genügen. Die Türkei bleibt seit 2013 abstinent, das Erdogan-Regime verfügte, trotz großer ESC-Erfolge dieses Landes, Distanz zu diesem Event, weil es zu dekadent, schräg, schrill und gottesfern sei.
Israel nimmt seit 1973 am ESC teil und gewann den Wettbewerb viermal, zuletzt 2018 mit Netta und ihrem Lied „Toy“. Künstler- und Aktivisteninitiativen, die einen Ausschluss Israels aus dem Wettbewerb forderten, erteilte die veranstaltende EBU eine Absage: Der ESC sei inkludierend, nicht ausgrenzend.
Schweden siegte siebenmal, erstmals 1974 mit Abba und ihrem „Waterloo“, zuletzt 2023 mit Loreen und „Tattoo“; Irland gewann ebenfalls siebenfach, der letzte Triumph liegt indes 29 Jahre zurück, als Eimear Quinn mit „The Voice“ gewann. Rekordpunktzahl bislang: Das ukrainische Kalush Orchestra gewann 2022 mit 631 Punkten.
Trend: Neigung zum landessprachlichen Singen wie seit 1999 nicht mehr.
Deutschland landete in den vergangenen zehn Jahren meist auf dem letzten oder vorletzten Platz. Immer, wenn Stefan Raab in irgendeiner Rolle mitmachte (Dirigent und Produzent 1998, 2000 als Künstler, 2004 als Förderer Max Mutzkes, 2010 als Förderer Lena Meyer-Landruts, 2011 als ESC-Moderator und 2012 als Förderer Roman Lobs), schnitten die deutschen Beiträge gut bis sehr gut ab. Dieses Jahr war er „Chef“ des deutschen Vorentscheids.
Möglicher Main-Act des Abends: Céline Dion.
20 Malta: Miriana Conte – „Serving“ Die in langen Stiefeln stöckelnde Frau lässt sich den Mund nicht verbieten, so ihre Botschaft. Das geht nicht nur auf Tiktok viral, sondern holt höchstwahrscheinlich am Samstag viele Punkte. Platz 15.
21 Portugal: Napa – „Deslocado“ Zehn Sekunden dauert dieses unterschätzte Lied, da wird von „Saudade“ gesungen, von Melancholie und Traurigkeit: Portugal gibt es nicht ohne diese Gemütsschwere. Verdient im Finale. Platz 12.
22 Dänemark: Sissal – „Hallucination“ Sie kann singen, ja. Das beweist sie mit ihrem Lied. Wieso sie dennoch nicht gewinnen wird? Weil Schwedens Loreen das schon zwei Mal getan hat und Sissal ein wenig zu doll wie eine Epigonin der Schwedin klingt. Platz 23.
23 Schweden: KAJ – „Bara bada bastu“ Drei Männer, die auf humoreske Art die finnische Schwitzanlage schlechthin loben. Mit ihrem Act stachen sie in der Heimat schon die industriell gefertigte Konkurrenz aus. Unmittelbarer Mitmachen-Pop, nix für fein gesinnte Gemüter, dafür siegesfavorisiert. Platz 1.
24 Frankreich: Louane – „Maman“ Die hohen Töne machen das Stück erst stark, das kann diese Chanteuse. Und dann geht sie über in den Refrain und präsentiert Wucht mit gefälliger Gefühligkeit. Sie ist Vollwaise, ihr Song gilt der Mutter. Dazu rieselnde Körner von der Decke. Platz 6.
25 San Marino: Gabry Ponte – „Tutta l’Italia“ Der zweite Song, der nicht Italien vertritt und das Wort „Spaghetti“ im Songtext unterbringt. Ohrwurm-Potenzial. Macht gute Laune. Mittelfeld. Platz 16.
26 Albanien: Shkodra Elektronike – „Zjerm“ Der Gegensatz der beiden Performenden macht’s unterhaltsam, alt und jung. Mutiger Ausdruckstanz. Der Geschichte auf der Bühne kann man folgen, auch ohne ein Wort zu verstehen. Platz 17.
Jan Feddersen, taz-Redakteur, fasziniert der ESC seit 1967, er hat Bücher zum Thema veröffentlicht. Lieblingslied: „Molitva“ (Marija Serifovic, Siegerin 2007)
Klaudia Lagozinski, taz-Nachrichtenchefin und ESC-Fan, ist dieses Jahr für den schwedischen Act KAJ. Beim ersten ESC, an den sie sich erinnern kann, war sie 10. Damals (2006) gewann Lordi für Finnland.
Einen Liveticker zum ESC in Basel finden Sie am Samstagabend auf taz.de
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