: Euroschulen: Trillerpfeifen statt Erdkundestunden
■ Proteste gegen die schlechtere Besoldung von ausländischen LehrerInnen
Der gestrige Europa-Tag ist ins Wasser gefallen, zumindest für die meisten der elf Berliner Europa- Grundschulen. Gefeiert wurde nicht, statt dessen haben SchülerInnen und Eltern gemeinsam protestiert.
In der Euro-Sektion der Erich- Kästner-Grundschule in Zehlendorf wurde der Unterricht sogar vollständig boykottiert. Die Eltern fingen ihre Kinder auf dem Schulhof ab – statt Erdkunde und Englisch gab es Spruchbänder und Trillerpfeifen. Der Grund für die Proteste ist laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die „Doppelmoral der Berliner Politik“. Während die deutschen LehrerInnen an den Europaschulen die übliche Besoldung erhielten, müßten sich die 70 ausländischen Lehrkräfte mit bis zu 1.600 Mark netto weniger zufriedengeben, hätten keinen Tarifvertrag und säßen teilweise noch immer auf befristeten Stellen. „Die Eltern haben den Boykott der Jubelfeiern zum Europatag ins Rollen gebracht. Sie wehren sich nicht nur gegen die dauerhafte Diskriminierung der Muttersprachler, sondern auch gegen die mangelhafte Ausstattung der Euro-Schulen. Für den zweisprachigen Unterricht gibt es weder Lehrpläne noch Unterrichtsmaterialien“, erklärte Ilse Schaad von der GEW.
Nach Einschätzung der GEW verstößt der Senat mit der Schlechterstellung der ausländischen LehrerInnen gegen gültiges EU- Recht: „Die EU-Kommission hat bereits vor dem Europäischen Gerichtshof Anklage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben.“ Grundlage der Klage sei eine EU-Richtlinie, nach der akademische Abschlüsse gegenseitig anerkannt werden müßten. Der Senat verstoße dagegen, weil er den „Nachweis eines großen deutschen Sprachdiploms und Nachqualifikationen in weiteren Fächern auf deutsch“ verlange, heißt es in einer Mitteilung der Elternvertretung der Staatlichen Europaschulen. „Dies ist jedoch unsinnig, weil die ausländischen Lehrkräfte eingestellt wurden, um in einer nicht- deutschen Sprache zu lehren.“ Einige LehrerInnen hätten schon die Konsequenz gezogen und gekündigt. Die Elternvertretung sieht dadurch den gesamten Modellversuch in Frage gestellt.
Die Eltern der Erich-Kästner- Grundschule fordern, den MuttersprachlerInnen über Mittel aus dem europäischen Strukturfonds Stellenzulagen zu bezahlen. Die GEW will die Bezahlung dagegen in einem Tarifvertrag festlegen und fordert den Senat zu Verhandlungen auf. „Wenn dazu keine Bereitschaft besteht, werden die Lehrer in den Streik gehen“, sagt Ilse Schaad. Die Senatsverwaltung war von den Protesten offensichtlich überrascht und noch nicht zu einer Stellungnahme zu bewegen. Thomas Loy
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