Europäischer Chef-Gipfel: Verschobene Halbgarheiten
Der Frühjahrsgipfel der Europäischen Union bemüht sich um positive Signale, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele strittige Themen vergeblich auf eine Lösung warten.
BRÜSSEL taz Beim Frühjahrsgipfel in Brüssel haben sich die Chefs der Europäischen Union alle Mühe gegeben, Aufbruchstimmung zu erzeugen. 6,5 Millionen neue Arbeitsplätze, eine in drei Jahren halbierte Schuldenrate, ein Wachstum von zwei Prozent - der Lissabon-Prozess sei eben doch ein Erfolg, erklärte Sloweniens Regierungschef Janez Jansa, der zurzeit das Amt des EU-Ratspräsidenten innehat.
Was macht es da schon, dass bis heute kaum ein EU-Bürger zu erklären vermag, worum es beim "Lissabon-Prozess" eigentlich geht. Gleiches gilt für den "Barcelona-Prozess", der die Zusammenarbeit mit den Nachbarn rund ums Mittelmeer beschreibt und auf französisches Betreiben einen neuen Namen erhält: "Barcelona-Prozess einer Union für das Mittelmeer". Die heikle Frage, in welche Richtung sich die Zusammenarbeit mit den teilweise zerstrittenen Mittelmeeranrainern entwickeln soll, wurde aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Der EU-Kommission kommt die undankbare Aufgabe zu, sich ein Konzept auszudenken, mit dem alle 27 EU-Staaten einverstanden sind.
Doch nicht nur dieses Thema wurde vertagt. Die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident hatten Anfang März verabredet, einen gemeinsamen Vorschlag zu machen, wie die CO2-Sparziele bei Pkws zwischen kleinen und großen Autos verteilt werden sollen. Paris will die hubraumstarken Wagen aus deutscher Produktion zum Sparen verpflichten, Berlin die französischen Kleinwagen stärker in die Pflicht nehmen. Das mit Spannung erwartete gemeinsame Papier wurde leider zum Gipfel nicht fertig.
Auch die Frage, welche Produktionszweige als "energieintensiv" gelten sollen und deshalb auf kostenlose Verschmutzungsrechte im Emissionshandelssystem nach 2012 hoffen dürfen, blieb gestern unbeantwortet. Kommissionspräsident José Manuel Barroso kündigte an, dass er in wenigen Wochen einen Vorschlag vorlegen werde, wie der Emissionshandel künftig organisiert wird: "Sollte Ende 2009 in Kopenhagen kein internationales Abkommen zustande kommen, wird es für die europäischen energieintensiven Unternehmen Ausgleichsmaßnahmen geben. Auf diese Zusage können sie sich verlassen." Details könne die Kommission aber erst Anfang 2010 preisgeben.
Ratspräsident Jansa deutete an, dass es großzügige Ausnahmen geben werde, um die Abwanderung von Unternehmen zu verhindern. Kanzlerin Merkel hatte vor dem Gipfel Planungssicherheit für energieintensive Branchen wie die Stahl- und Chemieindustrie verlangt. Deshalb müsse die Kommission Vorschläge dazu schon im kommenden Jahr vorlegen. "Standortverlagerungen schaffen ernsthafte Probleme in den betroffenen Ländern und erzeugen vielleicht anderswo mehr Klimagase, weil dort die Standards niedriger sind", sagte Jansa nach dem Gipfel und zeigte Verständnis für die deutsche Position. "Das wäre für die Umwelt keine Lösung. Wir müssen auf diese Bedenken Antworten finden!"
Bevor nicht alle EU-Staaten den neuen EU-Vertrag unterzeichnet haben, sind aus Brüssel aber wohl keine Entscheidungen mehr zu erwarten, die irgendwo in der Union für Missstimmung sorgen könnten. Die slowenische Ratspräsidentschaft gibt sich alle Mühe, eine Stimmung positiver Geschäftigkeit aufrecht zu erhalten, ohne sich auf eine Position festlegen zu lassen. Im Juni müssen die Iren per Referendum mehrheitlich Ja zum neuen Vertrag sagen. In Brüssel sorgt aber vor allem die Nachricht für Aufregung, dass Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski im polnischen Sejm gegen den Vertrag stimmen und damit die nötige Zweidrittelmehrheit platzen lassen will.
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