: Europäische Verteidigung
Paris (taz) - „Der amerikanische Schutz läßt nach. Deshalb muß Europa seine militärischen Kapazitäten koppeln.“ Mit dieser Feststellung begab sich Jean–Pierre Chevenement, ehemaliger Parteilinksaußen, heute einer der führenden Politiker der französischen Sozialisten, offenbar gerade zum richtigen Zeitpunkt nach Bonn. Als Gast der Abrüstungsdebatte im Bundestag mußte er sich von der vor kurzer Zeit noch undenkbaren Bedeutung der Rolle Frankreichs in den verteidigungpolitischen Vorstellungen bundesdeutscher Politiker geschmeichelt fühlen. Chevenement kam mit einer Botschaft nach Bonn, die in unterschiedlichen Tönen bereits in den größten Teilen der französischen Politikerklasse anklingt, und in Bonn, das machte die Bundestagsdebatte deutlich, nicht mehr ungern gehört wird. Chevenement propagiert ein „autonomes europäisches Verteidigungskonzept“, in dem „selbstverständlich auch ein nukleares Element“ (sprich: die französische Atomstreitmacht) enthalten sein müsse, und fordert über alles eine „enge deutsch–französische Abstim mung“. Chevenement gehört zu Mitterrands Vorläufern, der als Präsident bisher an das alte gaullistische Primat der nationalen Unabhängigkeit der französischen Militärstrategie gebunden bleibt, vor allem auch deshalb, weil auf bundesdeutscher Seite bisher wenig Interesse über eine militärstrategische Abstimmung mit Frankreich gezeigt wurde. In Frankreich ist man sich nun sehr wohl bewußt, daß die sogenannte „Doppel–Null–Lösung“ die europäischen Vorzeichen in Strategiefragen verändern wird, und damit einer deutsch–französischen Annäherung Raum schaffen könnte. Erst kürzlich, auf dem deutsch–französischen Gipfeltreffen, bekräftigte Mitterrand seine Auffassung, der „europäischen Verteidigung Priorität zu geben“. Die französische bürgerliche Rechte aus gaullistischer RPR und liberal–konservativer UDF hat ihre europäische Verteidigungsidee seit 1985 programmatisch bekundet. Bereits 1976 hatte der damalige Präsident Giscard von der Elbe als der Grenze französischer Sicherheitsinteressen gesprochen, diese Idee politisch und strategisch aber nicht füllen können. Erst in Parteiprogrammen der UDF und RPR von 1985 wurde sie aufgegriffen. Auf sie gründet Dregger seine Hoffnung, nach einem rechten Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 1988 zu einer deutsch–französischen Verteidigungsvereinbarung zu kommen. Heute ist eine Öffnung des französischen Verteidigungskonzepts durch die unterschiedlichen strategischen Vorstellungen von Mitterrand und der Rechten blockiert. Während Mitterrand stärker, auch im Hinblick auf Europa, am traditionellen Konzept der Abschreckung festhält, gehen die Überlegungen der Rechten in Richtung einer westeuropäischen Offensivverteidigung, die sich leichter in ein NATO–Konzept eingliedern ließe. Hier bestehen mit der Aufstellung der „Schnellen Einsatztruppe“ (FAC) Frankreichs in der BRD und der begonnenen Modernisierung der französischen Kurzstreckenraketen Hades konkrete Kooperationsmöglichkeiten mit der Bundesrepublik, die ihren Beitrag leisten können, ein deutsch–französisches Verteidigungsmodell voranzutreiben. Georg Blume
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen