Europäische Nahost-Politik: Gaza ist nicht Tempelhof
Die geplanten Hilfslieferungen als „Luftbrücke“ zu vermarkten, ist Propaganda. Und selbst Symbolpolitik können andere besser als Friedrich Merz.

M ittlerweile sieht es die ganze Weltöffentlichkeit: Israel hungert die Palästinenser in Gaza aus. Selbst die europäischen Staats- und Regierungschefs, die die rechte israelische Regierung in ihrem genozidalen Krieg diplomatisch decken und mit Waffen beliefert haben, rutschen deshalb langsam nervös auf ihren Stühlen hin und her. Vielleicht um nicht als Gehilfen in die Geschichte einzugehen, wollen sie ihren Dissens bekunden. Aber ihre Politik wirklich ändern wollen sie auch nicht. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Symbolpolitik und Zynismus.
So lässt sich etwa die Ankündigung von Friedrich Merz verstehen, gemeinsam mit Jordanien eine „Luftbrücke“ für Gaza ins Leben zu rufen. Der Begriff dockt natürlich an die Berliner Luftbrücke der Alliierten 1948/49 an: Für die gut zwei Millionen Westberliner – etwa so viele Menschen wie in Gaza – kamen etwa 4.500 Tonnen Hilfsgüter täglich an. Praktisch im Minutentakt landete ein Flugzeug in Tempelhof.
Was Deutschland in Gaza vorhat, erreicht nicht annähernd diese Dimensionen. Hier geht es nur um den Abwurf von ein paar Paletten, was gefährlich für die Menschen auf dem Boden und dazu noch ineffizient ist. So zitiert der Spiegel einen deutschen Militär: „Wir werfen vier Tonnen pro Flug ab, der Zehntausende Euro kostet. Ein Lkw bringt für einen Bruchteil davon 40 Tonnen nach Gaza.“
Als Merz am Dienstag mit dem jordanischen König vor die Presse trat, sprach er womöglich auch deshalb nicht mehr von einer „Luftbrücke“, sondern nur noch von „Airdrops“. Der Bundeskanzler offenbarte zwischen den Zeilen gar den propagandistischen Gehalt der Aktion. Sie leiste nur einen kleinen Beitrag, sei aber ein „wichtiges Signal: Wir sind da, wir sind in der Region, wir helfen“.

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Was wirklich helfen würde
Dabei könnte Deutschland echten Druck auf Israel ausüben. Die Bundesregierung könnte Sanktionen verhängen, die Waffenlieferungen gänzlich stoppen und die Aufklärung der Völkermordvorwürfe unterstützen.
Selbst in der Symbolpolitik sind andere Merz voraus. So ist die Anerkennung Palästinas durch Frankreich ein zwar symbolischer, aber dennoch nötiger Schritt. Großbritanniens Premierminister Starmers Position dagegen ist: Wir werden Palästina anerkennen – wenn Israel seinen Krieg nicht beendet. Das heißt nichts anderes als: Wir erkennen an, was euch zusteht, aber nur wenn Israel euch weiter auslöscht.
Das Selbstbestimmungsrecht ist aber keine Verhandlungsmasse. Die Palästinenser haben ein Anrecht auf ein Leben in Freiheit und Würde. Die Bundesregierung und ihre europäischen Verbündeten sehen das offenbar anders – sonst würden sie ihre Politik ändern.
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