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Europa – im Dreck vereint

Umweltpolitik spielt auf Europas Binnenmarkt auch im nächsten Jahr nur die Nebenrolle/ taz-Serie zum Binnenmarkt, Teil4  ■ Von Hermann Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Industrieprodukte und Dienstleistungen sollen im EG-Binnenmarkt an keine Grenze mehr stoßen. Der Dreck im Rhein und die Abgase aus Industrieschloten kannten diese Grenzen noch nie. Wer aus dem Verhältnis von europäischer Umweltverschmutzung und europäischem Binnenmarkt ableitet, daß die Umweltpolitik in der EG von jeher eine zentrale Rolle gespielt hätte, der irrt.

In den grundlegenden Verträgen der Gemeinschaft ist von Umweltschutz an keiner Stelle die Rede. Erst mit der Einheitlichen Politischen Akte, auf die sich die Regierungschefs 1985 verständigten, hat die EG grundsätzlich den Kampf gegen Umweltverschmutzung und für das Verursacherprinzip aufgenommen. Von den EG- Institutionen Kommission, Parlament und Ministerrat hat sich seither das relativ machtlose Europäische Parlament als treibendes Element einer EG-Umweltpolitik hervorgetan.

Auch heute noch – die EG will gerade ihr fünftes Umweltaktionsprogramm verabschieden – gilt die EG-Umweltpolitik in Brüssel nur als überflüssiges Rad am Wagen. Zwei Prozent der EG-Bürokraten sind mit einem Etat von 111 Millionen Ecu für die Kontrolle mehrerer hundert Richtlinien und für den Gemeinschafts-Umweltschutz zuständig. Das Ergebnis: Eine Richtlinie aus dem Jahr 1976 nennt 130 Stoffe, für deren Einleitung in Gewässer Grenzwerte festgelegt werden sollen. 17 Grenzwerte sind bislang erlassen.

Der Binnenmarkt kommt, die Industrie soll boomen, der Energieverbrauch steigt. Im Weißbuch der EG-Kommission zum Binnenmarkt kommt das Wort Ökologie nicht ein einziges Mal vor. Die Zahl der Lastwagen wird sich verdoppeln, schon verbotene Pestizide werden in der Bundesrepublik ab 1993 wieder zugelassen, chemische Lebensmittelzusätze neu eingeführt.

Zwar müssen nach dem noch nicht in allen EG-Staaten ratifizierten Vertrag von Maastricht künftig nicht mehr alle Umweltverordnungen einstimmig von allen EG-Ländern beschlossen werden – Umweltgesetze wären also auf EG-Ebene im Prinzip einfacher zu beschließen. Jedoch: Der Ministerrat legt selbst einstimmig fest, worüber er nicht einstimmig abzustimmen braucht.

Der Task-Force-Bericht der EG-Kommission von 1989 zu den Umweltauswirkungen des Binnenmarktes sagt ein ökologisches Desaster voraus. Sinkende Energiepreise würden zu noch mehr Energieverschwendung führen. „Neue ökologischere und dezentrale Energieversorgungsstrukturen werden so verhindert“, schimpft deshalb Helmut Röscheisen vom Deutschen Naturschutzring (DNR). Der Mülltourismus werde durch die offenen Grenzen zunehmen, befürchten EG-Bürokraten und Ökologen unisono.

Statt aber mit ökologischen Steuern und Abgaben für eine Veränderung der ökonomischen Prioritäten auf dem Binnenmarkt zu sorgen, wird in der EG auch 1993 umweltpolitisches business as usual gepredigt. Symptomatisch für die europäische Umweltpolitik ist die gerade getroffene Vereinbarung über Müllexporte. Danach ist der Export von deutschem Müll nach Frankreich nur verboten, wenn der Abfall deponiert werden soll. Müll, der in französischen Öfen verbrannt wird, darf die Grenze weiter ungehindert passieren. Grund: Die Franzosen müssen ihre neuen Öfen auslasten.

Ludwig Krämer aus der Generaldirektion Umwelt hat die Absurdität der EG-Umweltpolitik gegenüber den Nationalstaaten am Beispiel seines geplanten Besuchs bei einem spanischen Industriegebiet beschrieben: „Kurz zuvor schrieb die spanische Regierung der EG-Kommission einen Brief, daß sie bei dieser Kontrolle mit Demonstrationen gegen den Betrieb als Umweltstörer rechne. Das störe die öffentliche Ordnung, und deshalb könne man den Besuch eines EG-Vertreters nicht zulassen.“

Genau diese Öffentlichkeit sei aber nach wie vor die „einzige Sanktionsmöglichkeit“, welche die beamteten EG-Umweltschützer wirklich hätten, meint Krämer. Selbst wenn die Regierungen vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gezerrt und verurteilt werden, werden umweltschädliche Praktiken erst dann beseitigt, wenn der öffentliche Aufschrei groß genug ist. So ist seit Jahren bekannt, daß das deutsche und britische Trinkwasser in vielen Fällen nicht den EG-Normen genügt, die Regierungen werden verurteilt, es tut sich nichts.

Ex-EG-Umweltkommissar Carlo Ripa de Meana sieht folgerichtig auch in der Zukunft in der Allianz von EG-Recht, Europaparlament und Bürgern die einzig erfolgversprechende Koalition für den Umweltschutz. Nicht hilfreich sind, so Ripa süffisant im Spiegel, „die Herren der internationalen Politik“, wie er die Staatschefs der EG-Länder tituliert.

Auch wenn die verwaltungstechnischen Waffen der EG-Öko- Bürokraten stumpf bleiben, so haben sie der Industrie und den zugeknöpften Behörden der Nationalstaaten zu Beginn des neuen Jahres wenigstens ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Ab 1993 sind deutsche Bürokraten nach EG-Recht nämlich verpflichtet, Daten über den Zustand der Umwelt und Handlungen, die ihn verschlechtern, ohne Begründung herauszurücken. Der Versuch von Bundesumweltminister Klaus Töpfer, mit einer eigenen Verordnung den von der EG gelifteten Aktendeckel wieder zuzuklappen, kam zu spät.

Die Umweltverbände können das bislang nur noch nicht ausnutzen. Bei der Planung und Ausarbeitung neuer Gesetze und Verordnungen sind sie in Brüssel haarsträubend unterrepräsentiert. EG- Ökobürokrat Ludwig Krämer hat beobachtet, daß auf einen Umweltlobbyisten, der den Weg über die langen Flure der EG-Kommission in sein Büro findet, 99 IndustrielobbyistInnen kommen. Die Kommission plant zwar, künftig vier umweltpolitischen Lobbybüros in Brüssel verbesserten Zugang zu gewähren. Doch die Büros von Greenpeace, World Wide Fund for Nature (WWF), Friends of the Earth und dem Europäischen Umwelt Büro (EEB) sind mit ihren 25 Angestellten den 8.000 Industrielobbyisten hoffnungslos unterlegen.

Selbst die Umwelt- und Strukturfonds der EG laufen in die falsche Richtung. Der EG-Rechnungshof kritisierte erst kürzlich den laxen Umgang mit den Öko- Geldern. Mit viel Geld würden ökologische Reparaturmaßnahmen finanziert, die dann nicht einmal stattfänden. So förderte die EG in Sachsen-Anhalt den Aufbau eines Industriegebiets mit einer hypermodernen Kläranlage. Das Industriegebiet steht, allein es fehlt die Kläranlage.

Der neue Kohäsionsfond, mit dem die Angleichung der Lebensverhältnisse in ärmeren EG-Staaten gefördert werden soll, ist Ökologen dabei eine besonderer Dorn im Auge. Die spanische Regierung will mit dem Geld beispielsweise nur Straßenbau und den Eisenbahnbau fördern. Ein fester Mindestanteil für Umweltprojekte ist nicht festgelegt.

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