Eurokolumne: Holpriger Pas de deux
Keine Macht der Kommission! Der deutsch-französische Schulterschluss ist das beherzte Bekenntnis, die Eurozone gemeinsam voranzubringen.
V ieles im deutsch-französischen Verhältnis mutet derzeit wie eine Seifenblase an, die dem Wind der Realpolitik nicht standhält. Auf dem G-8-Gipfel gab es eine starke britische Stimme zum Thema Steueroasen, eine vernehmbare britische und eine laute französische Stimme zu Syrien. Allerdings keinen deutsch-französischen Schulterschluss. Mal wieder.
Das ist ein Jammer. Das Tandem Berlin/Paris könnte nämlich stark sein, wenn es französische Strategie und deutsche Wirtschaftskraft zusammenführen würde, Frankreich seine Wirtschaftsromantik und Deutschland seine strategische Verschlafenheit überwinden würde. Doch es hakt immer wieder.
Wie holprig der Pas de deux derzeit ist, zeigte kürzlich eine ziemlich aufgeregte Debatte im deutschen und französischen Feuilleton. In der Debatte ging es um Alexandre Kojève, einen russischen Intellektuellen, der 1945 in Paris an der Ecole Normale Superieure Hegel-Vorlesungen hielt und dort die Crème de la Crème der französischen Intellektuellen um sich scharte. Seine These: Der beste strategische Entwurf für Frankreich sei langfristig die Gründung einer „Lateinischen Union“ gegenüber einem Germanisch-Angelsächsischen Imperium, um das Land im Westen Europas der strukturellen deutschen Dominanz zu entziehen.
Die Politikwissenschaftlerin leitet seit seiner Gründung 2007 das Berliner Büro der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Dort forscht sie auf den Gebieten des europäischen Integrationsprozesses, der europäischen Institutionen sowie der deutsch-französischen und deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Der Text, ein formidabler Griff ins Archiv des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, fügte sich perfekt ein in die schwelende französische Debatte über die ökonomische Dominanz Deutschlands innerhalb der Eurozone: das „deutsche Modell“, das es zu kopieren gelte, um wirtschaftlichem Siechtum zu entrinnen. Diese Diskussion nährt natürlich die Sorge vor einem kulturellen Übergriff, der am Ende Frankreich in Europa marginalisieren könnte – weswegen François Hollande den spanisch-italienisch-französischen Widerstand gegen den deutschen Sparhammer choreografieren müsse.
Das Ringen um den verstaubten Kojève-Text lässt einigen Einblick in den aktuellen Gemütszustand der deutsch-französischen Beziehungen zu. Zum Glück nahm sich die Politik das kulturelle Auseinanderdriften nicht zur Blaupause. Dies zeigt der einigermaßen überraschende deutsch-französische Schulterschluss vom Mai.
„Merkollandische“ Fehde
Zuvor hatte monatelang die „merkollandische“ Fehde das Verhältnis arg getrübt, dann trat das Tandem mal wieder etwas kräftiger in die Pedale. En passant entwarfen die Kernländer des Kontinents – noch mit feinen Strichen – Europa einfach neu: trans-, nicht mehr supranational, grenzüberschreitend, aber nicht mehr Brüssel-gesteuert, mit der Eurozone als Kern, der sich in seiner wirtschaftspolitischen Governance-Struktur gleichsam aus dem Koloss EU herausschält, mit einem permanenten Eurogruppen-Präsident als europäischem Finanzminister in spe?
Das ist das eigentliche Novum des deutsch-französischen Papiers: Keine Macht der Kommission! Die Behörde ist weitgehend out aus der Koordinierung all jener neuen Politikbereiche, die jetzt im Rahmen der Eurogruppe stärker integriert werden sollen: Wirtschaft, Soziales, Steuern, Bildung, Innovation. Man mag dies bedauern – oder es als unvermeidbar betrachten: Es ist Europa, aber anders.
Der deutsch-französische Schulterschluss ist das durchaus beherzte Bekenntnis, die Eurozone gemeinsam voranzubringen. Er trägt aber auch einen deutschen Subtext, der auf Frankreich und seine Befindlichkeiten Rücksicht nimmt. Frankreich muss reformieren, bekommt durch dieses Papier aber nicht nur mehr Zeit, sondern auch deutsche Rückendeckung und Entgegenkommen.
Paris ist nämlich viel zu wichtig für Berlin, das die Geschicke Europas eben nicht alleine lenken kann. Mit einem geschwächten Frankreich an Deutschlands Seite kann Europa nicht gedeihen. Die deutsche Sorge nicht nur vor einem wirtschaftspolitischen Abdriften Frankreichs, sondern auch vor der inzwischen sehr problematischen Fragilisierung des dortigen politischen Systems ist groß – und berechtigt.
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