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EurokolumneVom Segen niedriger Zinsen

Kolumne
von Thomas Fricke

Die Illusion, mit mutigem Geldanlegen hohe Renditen zu erzielen, ist geplatzt. Für Sparer kann das eine neue Chance sein.

Die Finanzkrise 2008 beendete die Illusion hoher Renditen. Bild: ap

D as Wehklagen ist groß. Wer spart, bekommt kaum Zinsen auf sein Geld. Dagegen poltern seit Monaten der Sparkassenpräsident ebenso wie alle, die den Euro noch nie gut fanden und alle paar Monate Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen. Die Schuldigen scheinen ausgemacht. Zumindest mangelt es nicht an bösen Vermutungen. Es sind die Euro-Notenbanker, Mario Draghi und seine Kollegen, die mit Billiggeld fahrlässig die Märkte fluten und den Finanzministern noch das Schuldenmachen erleichtern.

Ein Vorwurf, gegen den sich die europäischen Währungshüter am Dienstag und Mittwoch dieser Woche erneut vor dem Verfassungsgericht wehren mussten.

Ist die Sache wirklich so einfach? Will die Welt uns nur Böses? Vor lauter Schimpfen über niedrige Sparrenditen scheinen Ursache und Wirkung durcheinanderzugeraten. Womöglich sind die Niedrigsätze eher Symptom als Auslöser unserer Probleme. Es könnte sogar sein, dass die neue Zeit der krisenbedingt niedrigen Renditen zum Segen für uns alle wird, selbst für den Sparer in uns.

Westend Verlag
Thomas Fricke

Von 2002 bis 2012 Chefökonom der Financial Times Deutschland, seit 2007 führt er das Onlineportal WirtschaftsWunder. Soeben erschienen: "Wie viel Bank braucht der Mensch?" (Westend-Verlag).

Es ist ja nicht so, dass es nur in der Euro-Zone derzeit niedrige Zinsen gibt. Das ist fast weltweit so. Und es ist auch typisch für die Zeit nach dem Platzen einer Finanzblase. Das hat erst mal nichts mit den Notenbankern zu tun.

Die Sparer müssen die Zeche früherer Exzesse zahlen

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird Sparern die Illusion vermittelt, sie könnten mit mutigem Geldanlegen 6, 8, ach was, Renditen in zweistelliger Prozenthöhe erzielen. Das kann auf Dauer nicht aufgehen, wenn die tatsächliche Wirtschaftsleistung nur um 3 oder 4 Prozent wächst.

Genau diese Illusion ist nun geplatzt. Seitdem versuchen Privatleute, Banken und Regierungen verzweifelt, jene Schulden abzubauen, die sie zur Vermögensmehrung oft aufnahmen. Keine gute Zeit für Anleger, die ja jemanden brauchen, dem sie das Geld leihen, der sich also verschuldet. Ergebnis: Tiefzinsen.

So betrachtet sind die Niedrigrenditen eine Art Quittung für illusorisch hohe Gewinne zuvor. Die Vermögenswerte müssen sich allmählich wieder normalen Verhältnissen nähern. Pech für heutige Sparer, die so die Zeche für vorige Partyexzesse zahlen müssen. Aber nicht wirklich zu ändern.

Es wäre auch fahrlässig, wenn die Notenbanken dagegenhielten. Natürlich birgt billiges Geld die Gefahr, neue Spekulationen zu nähren. Also müssen wir achtsam sein. Alle Erfahrung mit früheren Finanzblasen lehrt aber, dass bei höheren Zinsen viel Schlimmeres droht. Dann fiele das nötige Entschulden noch schwerer, und dann würden die Unternehmen noch weniger in Maschinen, Büros und Personal investieren: Weil es teurer wäre, so etwas zu finanzieren.

In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat genau das zur großen Katastrophe geführt, wie man heute weiß: zu Pleiten, Massenarbeitslosigkeit und jahrelanger Depression.

Das Gute ist, dass die Niedrigzinsen gleichsam einen Zeitenwandel beschleunigen und der Wirtschaft nach der Finanzillusion in eine solidere Ära verhelfen können. Über drei Jahrzehnte irrer Bankensause hinweg waren die Renditen auf Finanzanlagen so attraktiv, dass Investoren ihr Geld logischerweise lieber in das x-te Derivat steckten, als es einem Mittelständler oder Start-up zu geben, bei denen die Gewinnaussichten in der Regel schwächer und wackliger sind. Dieser Hang zur virtuellen Anlage hat uns im Laufe der Zeit eine Dominanz der Finanzwirtschaft beschert, die es etwa zu Wirtschaftswunder-Zeiten nicht gab – und die auch eher zulasten realwirtschaftlicher Wertschöpfung und Arbeitsplätze gegangen ist.

Wenn das stimmt, bietet die neue Zeit eine Chance. Dann werden sich Konzerne wieder entscheiden, erwirtschaftete Gewinne in eine neue Fabrik zu stecken – statt in Wertpapiere, die weniger abwerfen. Da wird manche Investition im Vergleich wieder attraktiv erscheinen, deren Rendite vor Kurzem noch zu mickrig wirkte.

Dann könnte sich bald der fatale Trend umkehren – und Banken sich wieder auf das konzentrieren, wofür sie da sind: denen Geld zu geben, die in die Zukunft investieren und Wohlstand sichern – statt Hochfrequenzhandel ohne erkennbaren Nutzen zu betreiben. Dann gäbe es dank neuer Dynamik auch für Sparer wieder solidere Erträge.

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2 Kommentare

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  • N
    noevil

    Nach 30 Jahren Finanzparty ist Aufwachen mit dickem Kopf noch das kleinere Übel.

     

    Vielleicht kommt jetzt das Wort solides Arbeiten gelegentlich wieder in Mode.

  • H
    Hannes

    Blöd nur, dass das all denen nicht hilft, die dazu gezwungen wurden und werden, "privat vorzusorgen", bspw für das Alter. Die in den letzten Jahren abgeschlossenen privaten Rentenverischerungen auf Kapitalbasis kalkulierten mit höheren Zinssätzen. Die Altersarmut, die schon jetzt der Hälfte der Bevölkerung droht, wird damit noch mehr Menschen blühen.

     

    Es zeigt sich einmal mehr, dass die Zerstörung des öffentlichen Rentenversicherungssystems und die Kündigung des Generationenvertrages ein großer Fehler war. Leider ist es, wie bei aller Sozialpolitik, einzige die Pratei die LINKE, die diese Probleme sieht, thematisiert und entsprechende Lösungen anbietet, aber diese Partei wird ja (auch in der taz) diffamiert und ihre Konzepte totgeschwiegen.