Eurokolumne: Euro-Domina spielt Weihnachtsmann
Merkel will 6 Milliarden Euro für die arbeitslose Jugend in Europa lockermachen. Doch hinter der Wahlkampf-Maske verfolgt sie ihre neoliberale Politik weiter.
H aben Sie es auch schon bemerkt? Die Eurokrise fühlt sich nicht mehr so schlimm an. Lange schmeckte sie nach Blut, Schweiß und Tränen. Da musste eisern gespart werden, Budgets für Rentner, Arme und Kranke wurden gekappt, Tausende gefeuert. Unsere Kanzlerin nannte das Eurorettung – und erklärte es für alternativlos.
Heute, keine 100 Tage vor der Bundestagswahl, ist die Krise irgendwie humaner geworden. Plötzlich steht der Mensch wieder im Mittelpunkt, vor allem der junge. Merkel hat ein Herz für joblose griechische und spanische Jugendliche entdeckt, die leider, leider – natürlich ohne Zusammenhang mit ihren Spardiktaten – ohne Perspektive dastehen. Da muss was getan werden, sagte sich die Kanzlerin. Schwupp standen sechs Milliarden Euro aus EU-Kassen bereit.
Nun gut, so schnell ging das auch wieder nicht. Erst musste Frankreichs sozialistischer Präsident Hollande ein bisschen nachhelfen, dann SPD-Chef Gabriel und EU-Parlamentspräsident Schulz (auch ein Genosse) ein bisschen Opposition machen. Und dann musste man sich auch noch eine hübsche Inszenierung ausdenken, mit einem EU-Gipfel und einem Jobgipfel im Kanzleramt. So kam es, dass die Eurokrise plötzlich gar nicht mehr so schlimm wirkt.
ist Korrespondent der taz in Brüssel. Der Euro beschäftigt den studierten Politikwissenschaftler schon seit den 90er Jahren.
Schade nur, dass das Geld, das Merkel lockermachen will, gar nicht da ist. Denn Euroretter und EU-Chefs arbeiten mit ungedeckten Schecks – das Budget, aus dem sie die Milliarden nehmen wollen, ist noch gar nicht verabschiedet – trotz der Last-Minute-Einigung vom Donnerstag. Schade auch, dass die „Jugendgarantie“ nur eine Schimäre ist. Mit sechs Milliarden Euro dürfte es schwer sein, arbeitslosen Youngstern binnen vier Monaten Job oder Praktikum zu besorgen: Pro Person und Jahr sind das 142 Euro. 7,5 Millionen arbeitslose Jugendliche könne man so unmöglich von der Straße holen, sagt selbst FDP-Mann Werner Hoyer, Chef der Europäischen Investitionsbank.
Womit wir bei des Pudels Kern wären: Merkel legt sich in diesen Tagen zwar mächtig ins Zeug, um das Image der eiskalten Euro-Domina abzulegen. Doch was sie tut, ist bloß ein Feigenblatt.
Im Süden Verschlechterung
Das Problem ist dabei noch nicht einmal die sozialdemokratische Verkleidung der CDU-Chefin. Nein, das ist ja gerade Merkels Stärke, dass sie auch Sozi kann. Aber: Hinter der Wahlkampf-Maske der Wohltäterin verfolgt sie ihre neoliberale Agenda einfach weiter – dabei hat diese doch zur Explosion der Arbeitslosigkeit geführt.
In Griechenland, Portugal, Spanien, in Irland und Italien – überall, wo Merkels Rezepte eingesetzt wurden – hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) haben deshalb ein Ende der Sparhämmer gefordert. Wenn die Sozialkürzungen, Lohnsenkungen und die „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes weitergingen, warnt die ILO, drohten soziale Unruhen.
Doch Merkel lässt sich nicht beirren. Schon beim EU-Gipfel im Oktober, gleich nach der Wahl, will sie weiterreformieren. Mit „Strukturreformen“ zur Förderung der „Wettbewerbsfähigkeit“. Was das bedeutet, davon können Hartz-IV-Empfänger ein trauriges Lied singen. Was Gerhard Schröder einst in Deutschland durchexekutierte – die Agenda 2010 –, will Merkel nach ihrer Wiederwahl in Europa durchboxen.
Europas Sozialdemokraten stellen sich dem nicht etwa entgegen. Sie bremsen nur ein wenig – und wollen Gegenleistungen. Frankreichs Präsident Hollande etwa fordert eine Arbeitslosenversicherung für die Eurozone – wohl wissend, dass die „Strukturreformen“ in den betroffenen Ländern zunächst zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Merkel sträubt sich noch. Sie will vor der Wahl keine neue EU-Baustelle. Ein soziales Feigenblatt wie die „Jugendgarantie“ hingegen dürften auch CDU-Wähler goutieren. Schließlich schmeckt es nach christlicher Nächstenliebe. Blut, Schweiß und Tränen kommen wieder – nach der Wahl.
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