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Ethnologie im MuseumNeue Fragen an alte Dinge

In Frankfurt lotet das Museum Weltkulturen den Zusammenhang von Ethnologie und Handel in der Produktion von Wissen aus.

Blick in das Museum Weltkulturen: Hier sind Fotografien der Sammlung (1960 - 2013) mit neuen Arbeiten von Marie Angeletti, Otobong Nkanga und Benedikte Bjerre zusammengebracht. Bild: Wolfgang Günzel

Wer mehr über andere Kulturen wisse, könne globale Märkte erschließen, erklärte Gründungsdirektor Bernhard Hagen bei der Eröffnung des Frankfurter Völkerkundemuseums im Jahr 1904. Die Ethnologie könne deutschen Händlern nützlich sein.

Fortan häufte das Museum Waffen, Schmuck, Körbe, Gefäße, Masken und andere Artefakte aus Regionen in Afrika, Nord- und Südamerika, Südostasien und Ozeanien an, dokumentierte Expeditionen und missionarische Aktivitäten. Über 67.000 Objekte und mehr als 120.000 Bücher, Fotografien und Filme gelangten so in die Depots am Main.

Weltkulturen Museum heißt das Haus heute. Auf Vorschlag der Unesco änderten zu Beginn des neuen Jahrtausends viele ethnografische Sammlungen ihren Namen, ein Versuch, ihren immanenten Anachronismus zu überwinden. Doch auch wenn Weltkulturen draufsteht, ist meist noch Völkerkunde drin. Es muffelt nach Rassentheorie und kolonialen Raubzügen, einfach mal lüften hilft nicht.

Die Ausstellung

„Ware & Wissen (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“, Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main, 16. Januar 2014 bis 4. Januar 2015

Kaum eines dieser Museen schafft es, sich im postkolonialen Kontext neu zu verorten und die eigene Geschichte kritisch zu diskutieren. Genau das will Clémentine Deliss. Seit 2010 ist sie Direktorin in Frankfurt, die Sammlung hat sie zum Labor für ihre Idee des „Postethnografischen Museums“ gemacht.

Den Artefakten heterogene Interpretationen gönnen

Sie sitzt auf einem hellgrauen Designersofa in ihrem Büro in einer bürgerlichen Villa am Frankfurter Museumsufer. Es ist eine von drei Villen, in denen das Weltkulturen Museum untergebracht ist. Deliss erzählt energisch von ihrer Vision: Ihr schwebe ein Ort für Diskurs und künstlerische Forschung vor, sagt sie, es gehe darum, etwas Neues auszuprobieren. „Wir sollten diesen Sammlungen eine Heterogenität gönnen, was die Interpretation angeht, und die Autorität und Orthodoxie der Ethnologie hinter uns lassen.“

Deliss ist eine Macherin. Sie lädt regelmäßig Philosophen, Ethnologen, Kuratoren und Künstler zu Thinktanks ein. Transkripte der Gespräche und Essays von führenden Theoretikern wie Richard Sennett, Saskia Sassen oder Paul Rabinow werden in den Ausstellungskatalogen veröffentlicht. Bei Gastaufenthalten schaffen Künstler Arbeiten, die sich auf Artefakte aus den Depots beziehen und in die Sammlung eingehen. In einer der Villen hat Deliss dafür Wohnungen und Studios eingerichtet.

Designer aus Nigeria

Künstler wie Thomas Bayrle und Antje Majewski entwickelten Arbeiten für „Objekt Atlas – Feldforschung im Museum“, Deliss’ erste Ausstellung in Frankfurt. Modedesigner aus Nigeria, Deutschland, Großbritannien und Australien entwarfen von ethnografischen Objekten, Fotografien und Filmen inspirierte Prototypen für Kollektionen, die in der zweiten Ausstellung, „Trading Style“, zu sehen waren. Es geht buchstäblich um eine produktive Auseinandersetzung mit der Sammlung im Sinne künstlerischer Subjektivität.

Die 53-jährige Deliss ist halb Französin, halb Österreicherin, studierte in Wien Kunst, später in London und Paris Anthropologie und arbeitete anschließend vor allem als freie Kuratorin. Gegenwartskunst in ein ethnografisches Museum zu holen, sei für sie ein natürlicher Schritt gewesen, sagt Deliss.

1990 kuratierte sie in Graz die viel beachtete Schau „Lotte oder die Transformation des Objekts“. Sie zeigte zeitgenössische westafrikanische Objekte neben Arbeiten von westlichen Künstlern wie Jeff Koons und Rosemarie Trockel. Es gab keine Schilder in der Ausstellung, die Grenze zwischen dem, was etwa spezifisch afrikanisch oder US-amerikanisch sein könnte, verschwamm. „Leute wie Koons und Trockel warfen damals Fragen zu Repräsentation und Macht auf, Fragen, die in ethnografischen Museen nicht zu finden waren“, sagt Deliss.

Gerade ist Deliss’ dritte Ausstellung fertig geworden. „Ware & Wissen“ untersucht die Beziehung zwischen Ethnologie und Handel mit Artefakten. Ausgangspunkt ist Bernhard Hagens Gründungsrede. Die Berliner Künstlerin Peggy Buth sprach sie nach und filmte sich dabei, das Video läuft in der Schau.

Beutezüge nach Papua-Neuguinea

Die großen Fenster der Villa geben den Blick auf die andere Seite des Mains frei, dort ragen Glastürme und Bankenlogos in den Himmel. Drinnen erzählen Fotografien und Assemblagen von kleptomanischen Beutezügen. An einer Wand leuchten Bilder einer Expedition auf: 1961 reisten Anthropologen des Völkerkundemuseums und des Frankfurter Frobenius-Instituts für ethnologische Forschung nach Papua-Neuguinea, schleppten Schlitztrommeln und Hauspfosten auf Schiffe, nicht etwa je ein Exemplar, nein, gleich mehrere, und kehrten mit über 4.000 Objekten nach Frankfurt zurück.

Beklemmende Fotografie

Andere Fotoserien zeigen nackte Körper und Nahaufnahmen von Genitalien, Hagen sammelte sie für seine anthropologischen Studien. In den Thinktanks wurde diskutiert, ob man solche Bilder zeigen solle. Man habe sich klar dafür entschieden, sagt Kustodin Yvette Mutumba: „Wenn wir diese Bilder nicht zeigen, dann ignorieren wir auch die Geschichten der Menschen, die da abgebildet sind.“ Beklemmend wirkt die fotografische Akkumulation, die Menschen zur Ware des Wissens macht. Peggy Buth führt die ethnografische Methodik vor: Auf Tischen liegen Hunderte von Missionaren geschossene Fotos aus, die Künstlerin hat sie nach ähnlichen Motiven gruppiert.

Der Neuseeländer Luke Willis Thompson bearbeitet das Thema der Repatriierung. Auch das Weltkulturen Museum schickte 2011 zusammen mit dem Senckenberg Naturkundemuseum zwei verschleppte Schädel der Maori zurück nach Neuseeland. Thompson stellt das Budget für die Repatriierung eines Menschen zur Verfügung, der in Frankfurt stirbt und in seiner Heimat beigesetzt werden soll. Das aus seinem geografisch-kulturellen Kontext Gerissene erhält ein Gesicht, so verweist Thompson auf den emotionalen Wert der Sammlungsstücke.

Ein Modell für neuere Museen

Ihre Vision vom „Postethnografischen Museum“ hat Deliss zum Manifest ausformuliert. In New York stellte sie es bei einem Symposium der School of Visual Arts vor, sprach neben prominenten Persönlichkeiten der Kunstszene wie Daniel Birnbaum oder Okwui Enwezor. In Berlin erntete sie bei einer Tagung des „Humboldt Lab Dahlem“ Beifall. Ihr Programm könne auch als Modell-Projekt für Häuser wie das Humboldt-Forum in Berlin fungieren, sagt Deliss. Die Sammlung des Berliner Ethnologischen Museums mit rund 500.000 Objekten wird in ein paar Jahren in das neue Stadtschloss umziehen. Im „Humboldt Lab Dahlem“ werden derzeit Konzepte für neuartige Präsentationen geprobt, einen selbstkritischen Diskurs lassen sie allerdings vermissen.

Während man Deliss’ Arbeit weltweit mit Neugier verfolgt, hält man sich in Frankfurt mit Diskussionen um die Platzierung eines Neubaus für das Weltkulturen Museum auf. Eine Bürgerinitiative begehrte 2011 gegen den vom Magistrat geplanten Bau unterhalb eines Stadtparks am Museumsufer auf.

Anwohner und Autor Ulf Erdmann Ziegler nahm das zum Anlass für einen Angriff auf Deliss’ Ausstellungspolitik in einer Tageszeitung. In Zusammenhang mit einer Arbeit von Antje Majewski sprach er von einer „Beleidigung für das Publikum, das sich für die exotische Sammlung und deren Hintergründe im Ernst und seit vielen Jahren“ interessiere. Fakt ist: Die Parameter, auf die sich „exotische“ Sammlungen ein Jahrhundert lang stützen konnten, sind evaporiert. Vielleicht kann kritische Kunst tatsächlich eine Katharsis bewirken.

Der Neubau wird aus finanziellen Gründen vorerst nicht realisiert. Er sei zwar wichtig, erfolgreich sei das Konzept aber auch ohne ihn, sagt Deliss, das zeigten etwa die 2013 um 40 Prozent gestiegenen Besucherzahlen. Die mexikanische Künstlerin Minerva Cuevas hat für „Ware & Wissen“ Zahlungs- und Tauschmittel verschiedener Kulturen aus den Archiven geholt, einige sind Schenkungen aus einer Commerzbank-Sammlung von sogenanntem „Primitivgeld“. Das Frankfurter Unternehmen wurde als Sponsor für die Ausstellung angefragt, leider sei kein Geld da, hieß es. Ethnologie und Handel haben es fast zeitgleich in eine Sackgasse geschafft.

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5 Kommentare

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  • 1) Deliss ist eine Macherin. Sie lädt regelmäßig Philosophen, Ethnologen, Kuratoren und Künstler zu Thinktanks ein.

     

    Und das ist die Fortführung einer elitären Occident-Subjektgruppe, die über das (Geschäfts-) Verfahren mit der Exoten-Objekt-Gruppe debattiert.

     

    2) Die 53-jährige Deliss ist halb Französin, halb Österreicherin, studierte in Wien Kunst, später in London und Paris Anthropologie und arbeitete anschließend vor allem als freie Kuratorin.

     

    Der 53-jährige Ardaga (ind. Name Huup-té Dschaam Dscheu) ist Geburtskakanier und Eineweltmensch, studierte in Wien Ethnologie bis es ihm graute und lebt-arbeitet-lernt seither bei, mit und von den Objektexotengemeinschaften (solcher sich als dekolonialisierend verstehenden Eliteclubs).

     

    3) „Wenn wir diese Bilder nicht zeigen, dann ignorieren wir auch die Geschichten der Menschen, die da abgebildet sind.“

     

    Da sind wir dran, am Fortbestehen (trotz gegenteiligem Bemühens), am Problemkern. Die Exotenobjektmenschen werden WEITERHIN ignoriert. Fotos tun da klinisch wenig zum Umschwung und überfälliger Umwertung. Wo sind die Exoten-SUBJEKTE? Die da (selbst-) GESTALTEND und in Fleisch & Blute auftreten. Über sich sprechen. SICH darstellen. Statt weiter dargestellt und interpretiert zu WERDEN.

     

    4) Auch das Weltkulturen Museum schickte 2011 zusammen mit dem Senckenberg Naturkundemuseum zwei verschleppte Schädel der Maori zurück nach Neuseeland.

     

    Na wirklich umwerfend grosszügig...

    • @Ardaga:

      Mich hat das, was dieser Text uns über das Museum und seine Konzeption verrät, sehr angesprochen, im Vergleich zu dem kolonialen Muff, der noch durch andere ethnologische Einrichtungen weht, kommt mir der künstlerische und selbstrexlefive Ansatz doch recht revolutionär vor. Ich weiß aber auch, daß vieles, was aus der Sicht der einen geradezu revolutionär erscheint, aus Perspektive Anderer unterdrückerisch-imperial erscheint. Wenn Sie - vor dem Hintergrund persönlicher Einblicke?- der Auffassung sind, daß die hier geschilderten konzeptionellen Veränderungen auf halbem Wege stecken geblieben sind, dann würde ich mir einerseits deutlichere, andererseits sachlichere Kritik von Ihnen wünschen. Das ist von mir durchaus ehrlich und nicht etwa ironisch gemeint. Gerade Ihr Punkt 3 leuchtet mir nicht recht ein: museale Machverhältnisse, wie sie in Jahrzehnten zusammengetragene ethnographische Sammlungen entstehen lassen, lassen sich nicht einfach umkehren, wohl aber reflektieren. Was wäre hier Ihr Lösungsvorschlag, wie wird "der Exot" (auch schon kolonialistisch) zum "Subjekt" (dem eine recht eurozentrische Personen- und Handlungsauffassung innewohnt) ? Die Sammlungen ganz abschaffen? Ein nicht-deutscher Museumsdirektor? Mehr Rechte für außereuropäische Projektpartner? Afrikanische Kunstgallerien in Europa beispielsweise? Damit möchte ich nicht sagen, daß ich dem nicht auch zustimmen würde, ich habe einfach nicht verstanden, wie Sie diese Umwertung vornehmen würden.Klären Sie mich auf!

      • @Irma Kreiten:

        Teil B:

        Wo und solange das NICHT geschieht, herrscht weiter der koloniale Imperativ. Der Überlegenheitsansatz.

        Und, schlussendlich (um dieses Thema wirklich durchzudenken und –sprechen müsste ein anderer Rahmen her, als der räumlich-zeitlich begrenzte Speakers Corner der taz), ich breche ja auch nicht den Stab über die Bemühungen in Frankfurt. Doch kritisiert soll werden, was glaubt „ganz neu und anders“ zu sein. Und doch nur wieder die alten Grundmuster reproduziert.

         

        Liebe Grüsse aus dem Süden Amerikas!

         

        PS: Ich hoffe doch, dass die wiederholte Verwendung des Wortes „Exot“ meinerseits, als provokant-kritisch zu verstehen sei.

      • @Irma Kreiten:

        Liebe Irma (Teil A):

        Ich bin kein Aufklärer. Und hab auch keine Fertigrezepte parat. Weil ich auf dem diametralen Feld lebe. Kultürlich, geografisch, weltanschaulich. Also nicht in (elitären) Thinktanks – den GöttInnen sei Dank – mitbrüte.

        Auch suche ich nach keiner Revolution. Denn die brächte nur wieder ein neues Team im Pyramidenspitzerl (über den stets gleichen vielen dort sockel-unten). Ich suche nach freiwilliger egalitärer freundschaftlicher Kooperation zwischen unterschiedlichen gleichen. Und diese sehe ich im im Artikel geschilderten Ansatz nicht. Denn die Menschen, die von der Ethnologie dort rassisch und rassistisch durch die Jahrhunderte zersetzt und euro-zentristisch bis offen abwertend wieder zusammen-gesetzt worden sind, sind dort weiterhin nicht präsent! Und logischer Weise tut es nichts zur Besserwerdung der Sache, statt einer austrofranzösischen einen ghanesischen Direktor in das Graue Machtsofa zu hieven. Aber Thinktanks zur Andersgestaltung einer langen bösen Tradition unter weiterem Ausschluss der Opfer...??? Was ist denn da, essentiell, anders? Wo sind die Arbeitsgruppen (um mal von diesem WASP-Eliteunwort Thinktank loszukommen), in welchen die Objekte nun als Subjekte AGIEREN. Was ihre weiter Darstellung und kulturelle Interpretation durch dritte betrifft? Bzw. die Neugestaltung des ganzen Museumsbetriebs. Statt Schädel zurück schicken, wäre es nicht fruchtbringender lebende Maoris einzuladen. Oder wenigstens sie per i-net einzubinden (denn ich weiss, die Kosten...)?

  • J
    Jan

    Das verstehe ich nicht. Was ist an dem Name "Völkerkundemuseum" verwerflich? Zumal es eigentlich "Weltkulturenmuseum" heißen müsste und nicht "Weltkulturen Museum". Sowas nennt man Leerzeichen in Komposita. Sie hätten mal lieber bei "Museum der Weltkulturen" bleiben sollen.