„Ethnische Säuberungen“ in Birma?: Gezielte Gewalt
Viele EU-Sanktionen gegen Birma sollen aufgehoben werden. Nun erhebt Human Rights Watch schwere Vorwürfe gegen die Regierung.
BANGKOK taz | Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erhebt schwere Vorwürfe gegen Birmas Autoritäten. Die Organisation, die bereits 2012 die antimuslimische Gewalt im westlichen Rakhine-Staat angeprangert hatte, wirft der Regierung jetzt in ihrem neuen Bericht „ethnische Säuberungen“ gegen die muslimische Rohingya-Volksgruppe vor.
An den Rohingya würden Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt, darunter Morde, Deportationen und Zwangsumsiedlungen, so HRW. „Birmas Regierung muss diese Verbrechen sofort beenden und die Täter zur Rechenschaft ziehen“, fordert Phil Robertson, der Vize-Asienchef der Organisation.
Seit Juni 2012 wird der Rakhine-Staat von Gewalt heimgesucht. Dort leben 750.000 Angehörige des muslimischen Rohingya-Volkes, dessen Angehörige in Birma nicht als Staatsbürger anerkannt sind. So habe dort im Oktober 2012 eine aufgehetzte Menge mit Rückendeckung von buddhistischen Mönchen, nationalistischen Politikern sowie Sicherheitskräften, muslimische Gemeinden angegriffen und deren Einwohner ermordet oder vertrieben. Mindestens 125.000 Angehörige der Rohingya sowie andere Muslime wurden gewaltsam zur Flucht gezwungen.
Den Sicherheitskräften wirft HRW vor, der Gewalt meist tatenlos zugesehen oder sich daran sogar beteiligt zu haben. Auch sei versucht worden, Spuren von Verbrechen zu beseitigen. So habe HRW Beweise über vier Massengräber gesammelt.
Antimuslimische Hetze
Fast scheint es, als ob die Gewalt gegen die offiziell staatenlosen Rohingya eine Art Vorlauf war für jene antimuslimische Hetze, die sich inzwischen auch auf andere Teile Birmas ausgeweitet hat. So wurden zum Beispiel im März in der zentralbirmanischen Stadt Meikhtila bei Ausschreitungen mindestens 43 Menschen ermordet. Augenzeugen beobachteten, wie ultranationalistische Mobs einschließlich buddhistischer Mönche mordend und brandschatzend durch die Stadt zogen.
Mit der Gewalt von Meikhtila wurde die von radikalen buddhistischen Mönchen geführte Kampagne namens „969“ bekannt. Sie verbreitet seit Monaten antimuslimische Hetze. Ihr Führer ist der Mönch Wirathu, der schon zu Zeiten der Militärdiktatur für seinen Fanatismus berüchtigt war. Wirathu führte im September 2012 Anti-Rohingya-Demos in Mandalay an, Birmas zweitgrößter Stadt. Der Akademiker und Mitbegründer der Free Burma Coalition, Maung Zarni, nennt Wirathus Kampagne eine „Neonazi-Bewegung“.
Vorwürfe von HRW, an der Eskalation der Gewalt sei die Regierung in Naypyidaw mitschuldig, wies diese zurück. Doch bislang gab es keinerlei Versuche, Verantwortliche und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Entgegen seinen öffentlichen Botschaften von religiöser Harmonie habe Staatspräsident Thein Sein praktisch nichts getan, um der „969“-Bewegung Einhalt zu gebieten, sagt Maung Zarni.
Hardliner fürchten um Einfluss
Kritiker mutmaßen, die Unruhen seien gesteuert und spielten Hardlinern in Armee und Regierung in die Hände, die angesichts der Reformen um Macht und Einfluss fürchteten. Straflosigkeit und Untätigkeit seien „in Naypyidaws strategischer Kalkulation verankert, ein Klima der Angst und Unsicherheit zu schaffen“, so Maung Zarni, „und zwar im Einklang mit jenen Teile-und-Herrsche-Taktiken, die stets benutzt wurden, um konkurrenzlos Kontrolle über Staat und Wirtschaft auszuüben.“
HRW forderte die EU auf, nicht wie geplant ihre Sanktionen aufzuheben. Dies wollten die EU-Außenminister noch am Montag in Brüssel beschließen. Bleiben soll nur das Waffenembargo.
Auch Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi steht in der Kritik. Sie sagte bisher kaum etwas zur Gewalt, außer dass die Förderung von Rechtsstaatlichkeit helfen werde, diesen Zustand zu beenden. Doch davon ist das Land, das nur mühsam den Weg zur Demokratie schafft und sich teils im Ausnahmezustand befindet, weit entfernt.