Ethikrat diskutiert religiöse Beschneidung: Ohnmacht im Diskussionssaal
Bei der Sitzung des Ethikrats zur Beschneidung gab es einen großen Andrang. Das Gremium hält Beschneidungen für zulässig – unter Auflagen.
BERLIN taz | Als Leo Latasch, Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden, das Video der Beschneidung eines kleinen Jungen vorführte, fiel eine Zuschauerin in Ohnmacht. Eigentlich wollte Latasch zeigen, wie schnell und harmlos der Eingriff sei.
Doch als das Kind während des Vorgangs zu brüllen begann, musste die geschwächte Frau aus dem überfüllten, stickigen Saal der „Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften“ getragen werden.
Selten war der Andrang bei der monatlichen Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates so groß. Doch an diesem Donnerstag ging es um ein besonders heiß diskutierte Thema, die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen. Seit das Kölner Landgericht im Juni in einem Urteil die Beschneidung als „rechtswidrige Körperverletzung“ und damit als grundsätzlich strafbar bewertete, hatte es eine breite öffentliche Debatte über die bei Juden und Muslimen übliche Beschneidung von männlichen Neugeborenen oder Kindern ausgelöst. Der Bundestag hatte daraufhin in einer Resolution die Straffreiheit gefordert. Im Herbst soll eine gesetzliche Regelung gefunden werden.
Kein Widerspruch zum Gesetz
Neben Latasch diskutierten am Donnerstag vier weitere Mitglieder des Rates die strafrechtliche, religiös-kulturelle, medizinische und ethische Aspekte der Beschneidung. Einzig der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel befand, solche Beschneidung seien nach geltendem Gesetz „rechtswidrig.“ Vor allem die Beschneidung ohne Betäubung sei „schmerzhaft und qualvoll“ für den Jungen, so Merkel, und deshalb „rechtlich wie ethisch inakzeptabel“.
Er warnte vor einem „jüdisch-muslimischen Sonderrecht“ und einem „Sündenfall des Rechtsstaates“, gleichzeitig betonte er aber auch Deutschlands „Verpflichtung zu besonderer Sensibilität gegenüber jüdischem Leben.“
Merkels Kollege Wolfram Höfling sah in der Beschneidung hingegen keinen Widerspruch zum Gesetz. Voraussetzung sei aber eine „schmerzvermeidende Durchführung“ sowie die „Anerkennung eines Vetorechtes älterer Jungen und die „Einwilligung beider Eltern.“
„Die Beschneidung ist ein Ritus zur Aufnahme in die Religionsgemeinschaft und somit das höchste Rechtsgebot“, befand der jüdische Arzt Leo Latasch. Er zeigte sich bestürzt über das Niveau der öffentlichen Debatte, in der alte Ressentiments wie das des Kinderschändens wieder belebt worden seien. Als Mediziner könne er keinen Verstoß gegen die Menschenrechte erkennen.
Auch für Muslime sei die Beschneidung unerlässlich, sagte Ilhan Ilkiliç, der muslimische Vertreter im Ethikrat. Er mahnte, dass „Beschneidung eine sozial-religiöse Realität mit Rechten und Pflichten“ bedeute, und hob negativen Konsequenzen für die Kinder bei einem drohenden „Beschneidungstourismus“ in Hinterzimmern hervor.
Die Mehrheit der Experten sprach sich am Ende für die jüdische und muslimische Tradition aus und forderte eine rasche gesetzliche Regelung, die sie straffrei stellt. Sie knüpften sie aber auch an bestimmte Auflagen: Notwendig sei eine umfassende Aufklärung und die fachgerechte medizinische Ausführung. Die Zustimmung beider Erziehungsberechtigten sollte erforderlich sein, der Einsatz von schmerzmindernden Mitteln erlaubt werden.
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