piwik no script img

Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Nicht jeder, der sich für gerecht hält, ist es auch. Manchmal kann ein selbsternannter Gerechter, der das Recht, das ihm vorschwebt, gewaltsam durchsetzen will, das Unrecht insgesamt noch vergrößern. Einen solchen Fall spielt Albert Camus in seinem Stück „Die Gerechten“ durch. Ausgangspunkt ist das Jahr 1905 in Russland. Eine Gruppe junger Terroristen will einen Verwandten des Zaren ermorden. Doch das Attentat misslingt, weil einer aus der Gruppe im entscheidenden Moment zögert: in der Kutsche mit dem Großfürsten, in die er eine Bombe werfen will, sitzt auch ein Kind – der Neffe des potenziellen Opfers. Die Gruppe diskutiert den Fall danach: was ist gerecht? Dass nun das ungerechte System weiterbesteht und möglicherweise viel mehr Kinder sterben. An Hunger? Wie verhält es sich überhaupt mit der individuellen Moral im Verhältnis zu den revolutionären Zielen? Heiligt der Zweck jedes Mittel? Im Maxim Gorki Theater hat jetzt der Regisseur Sebastian Baumgarten den Fall übernommen (Gorki Theater, Premiere 29. 9., 19.30 Uhr).

Für mehr Gerechtigkeit und Demokratie wollte auch das Bonner Grundgesetz sorgen, dass auf der Basis der Erfahrungen mit dem Staatsunrecht des Naziterrors entwickelt wurde. Die polnische Regisseurin Marta Górnicka hat den Text des Grundlagenwerks unseres Staatswesens (das gerade etwas porös zu werden scheint) in ein Libretto für das Chorwerk „Grundgesetz“ verwandelt, das sie als Produktion des Maxim Gorki Theaters stilecht am Tag der Deutschen Einheit am Brandenburger Tor zur Aufführung bringen wird. Und zwar mit einem Sprechchor, der aus fünfzig Mitwirkenden besteht (Gorki Theater/ Brandenburger Tor, Premiere 3. 10., 15.15. Eintritt frei).

Die zur Zeit etwas unübersichtlichen Zukunftsaussichten sind Thema eines Langzeitprojekts des Dokumentarfilmers und Regisseurs Andres Veiel und der Autorin Jutta Doberstein. In der vergangenen Spielzeit war unter der Überschrift „Welche Zukunft?“ zu einem zweitägigen Workshop geladen worden, wo das Publikum unter Leitung von Experten über verschiedene Zukunftssegmente nachdenken und Stoff für ein interdisziplinäres, partizipatives Recherche- und Theaterprojekt liefern konnte, an dem mitzuschreiben es ausdrücklich eingeladen war. Es ging um politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die Zukunft unseres Sozial- und Finanzsystems. Das Stück mit dem Titel „Let Them Eat Money – Welche Zukunft?“ ist jetzt fertig und wird als Koproduktion mit dem Humboldtforum im Deutschen Theater uraufgeführt (Deutsches Theater, Premiere 28. 9., 19.30 Uhr, www.welchezukunft.org).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen