Essen: Bremen kann sich Moral leisten

Die Billigfleischbremse in öffentlichen Kantinen ist durchaus bezahlbar, sagen ExpertInnen bei einer Anhörung.

Gemüse sieht nicht nur leckerer aus als Fleisch, sondern ist auch gesünder Foto: Jens Büttner/dpa

BREMEN taz | Kann man das Billigfleisch aus Bremens öffentlichen Kantinen verbannen? „Das ist machbar.“ Zu dieser Einschätzung kamen gleich mehrere ExpertInnen, die am Dienstag bei einer Anhörung der Gesundheitsdeputation befragt wurden.

Auf die parlamentarische Tagesordnung gesetzt haben das Thema über 5.000 BremerInnen, die einen Bürgerantrag des Agrarpolitischen Bündnisses Bremen (ABB) unterschrieben haben. Das verlangt ein Konzept, mit dem Bremen bis 2020 die gesamte öffentliche Gemeinschaftsverpflegung auf „nachweislich artgerechte Tierhaltung“ umstellt. Und zwar in allen – stadtweit nur noch privat geführten – Kantinen, Kitas, Krankenhäusern, Schulen und Mensen. Außerdem soll Bremen dort, wo es selbst Lebensmittel einkauft, etwa für Empfänge, schon kurzfristig nur noch Fleisch aus artgerechter Tierhaltung servieren.

Michael Thun von der Vernetzungsstelle Schulverpflegung schätzt die Mehrkosten in den Schulen pro Kind auf etwa acht Euro im Monat – wenn man den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) folge, der 80 Gramm Fleisch pro Woche und Schüler vorsieht. Ein Biofleisch-Anteil von bis zu 25 Prozent hält Thun für „leicht erreichbar“, weil er „nicht kostenwirksam“ sei. Zugleich fordert der gelernte Koch und Lehrer „verschiedene Begleitmaßnahmen“ – zum Beispiel, dass in den Schulen das Essen möglichst frisch gekocht wird. Derzeit werden Thun zufolge in Bremens Schulen etwa 3,2 Millionen Essen pro Jahr ausgegeben.

Auf Billigfleisch zu verzichten sei „im wesentlichen eine Sache der Schulung“, sagt Susanne Bastin von der Schulküche der Freien Waldorfschule Bremen-Osterholz, wo der Bio-Anteil an Obst und Gemüse nach eigenen Angaben bei bis zu 80 Prozent liegt. Den Bürgerantrag des ABB „befürworte ich absolut“, sagte Bastin.

Von der Initiative betroffen sind laut ABB täglich 50.000 Tischgäste, darunter 14.000 Kinder und 2.500 PatientInnen. Zu den UnterstützerInnen gehört auch der emeritierte Tierpathologe Siegfried Überschär, Sprecher der Tierärzte gegen Massentierhaltung. „Massentierhaltung macht krank“ lautet sein Credo – und zwar gleichermaßen Mensch und Tier und Umwelt. Für die Tiere bedeute eine „tierquälerische“ Haltung „extremen Stress“, so Überschär. Zudem seien moderne Hochleistungsrassen ohne Antibiotika „gar nicht lebensfähig“.

Doch es gab auch Gegenstimmen: Ernährungswissenschaftler und Medizin-PR-Experte Uwe Knop sieht „keinen Beweis“ dafür, dass Biofleisch gesünder ist als so genanntes Billigfleisch. Die DGE-Standards hält er für „frei erfunden“, und die Einteilung in gesundes und ungesundes Essen „sinnlos“. Bei dem Bürgerantrag geht es nach Knops Meinung deshalb „um keine gesundheitliche, sondern eine ethisch-moralische Frage“.

Wie die entschieden wird, bleibt nach der Anhörung zunächst offen. Sollten die Forderungen der ABB vom Parlament unterstützt werden, wäre Bremen die erste Stadt Deutschlands mit einer offiziellen Billigfleischbremse. Im rot-grünen Koalitionsvertrag ist aber lediglich von einer „Qualitätssteigerung“ der Essensversorgung die Rede; sie bedeute, „dass Tierprodukte zunehmend aus ökologischer Tierhaltung angeboten werden“.

Eine aktuelle Studie des Verbraucherzentralen zeigt, dass sich 77 Prozent der Verbraucher strengere Vorschriften im Tierschutz wünschen und dies als vordringliche staatliche Aufgabe ansehen. „Billigfleisch sollte keinen Platz mehr in den öffentlichen Kantinen Bremens haben“, forderte deshalb die Verbraucherzentrale Bremen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.