Essen in Venedig: Wein, Cicchetti, Dolce Vita

In Venedig gibt es eine Spezialität, die Einheimischen ebenso schmeckt wie Touristen: Kleine, üppig belegte Brothappen zum Aperitif.

Snacks auf venezianische Art oder kurz: lecker Cicchetti Foto: Awakening/Getty Images

Der Tag in Venedig beginnt, wie überall in Italien, mit Caffè und Cornetto. Dann lässt man sich durch die Gassen treiben, bis man irgendwann – erschöpft von all der Pracht, den vielen Brücken und, ja, auch den Touristenmassen – in eine der allgegenwärtigen Bars einkehrt. Beim Blick auf die Uhr („Ach, schon nach Mittag?“) und der freudigen Stimmung am Nachbartisch beschließt man, dass es Zeit für ein ombra ist, ein Gläschen Wein, und weil sie so verlockend aussehen, bestellt man auch noch ein paar Cicchetti dazu.

Wo immer in Venedig Alkohol fließt, sind die kleinen belegten Happen nicht weit. Da die spanischen Verwandten ungleich bekannter sind, werden Cicchetti oft als venezianische Tapas bezeichnet. Die Idee ist die Gleiche: Herzhafte Snacks gegen den kleinen Hunger und den allzu schnellen Rausch. Früher wurden Wein und Häppchen an mobilen Verkaufsständen verkauft – vornehmlich am Markusplatz, wobei die Händler dem Turmschatten des Campanile folgten (daher stammt wohl auch der Name für das venezianische Glas Wein: ombra, Schatten).

Bacchus, dem Gott des Weines und der Ekstase, huldigen die Venezianer noch immer. Heute trifft man sich dafür meist in Weinstuben, Bàcari genannt. Viele dieser Bars bestehen lediglich aus einem einzigen, kleinen Raum, in den sich mit fortschreitender Stunde immer mehr Menschen an Tresen und schmalen Wandtischen drängen.

Mindestens genauso wichtig wie der Wein: Die Cicchetti, die sich in Vitrinen oder im Schaufenster reihen. Meist sind es geröstete Brot- oder Polentascheiben. Garniert werden sie mit all jenem, was die Lagune kulinarisch zu bieten hat. Ein belegtes Brot, wenn man so will, und doch so viel mehr.

Während man seinen Wein trinkt und in Brote beißt, die so üppig belegt sind, dass einem die Creme am Mundwinkel klebt und Oliven in den Schoß purzeln, kann man sich ein wenig wie ein Local fühlen. Denn die Happen sind ein fixer Bestandteil der venezianischen Kultur.

Es gibt sie in den Bars rund um Rialtobrücke und Markusplatz genauso wie in den von Wäscheleinen überspannten Gassen der Nachbarinseln. In einer Stadt, in der man ständig von der Sorge begleitet wird, in die kulinarische Touristenfalle zu tappen, sind Cicchetti die ideale Lösung: Authentisch und weniger riskant als der Restaurantbesuch, denn wenn das Essen nichts taugt, kann man einfach weiterziehen.

Sicher, ein paar Zugeständnisse werden ans globale Publikum gemacht (Cicchetti mit Humus oder Avocado) und auch die Fusion-Bewegung hat die venezianischen Happen erfasst: Ein aus Japan stammender, seit 20 Jahren in Italien lebender Koch serviert von seiner Heimat inspirierte Cicchetti giapponesi. Alles in allem aber hat sich an Zutaten und Zubereitung wenig verändert. Als Belag dienen Pesto und ölig eingelegtes Gemüse. Dicke Scheiben Käse und Salumi, hauchdünn in diesem Fall, dafür aber dekadent hoch aufgetürmt.

Und natürlich Fisch. Allen voran der Baccalà. Ausgerechnet der Stockfisch – ein Fisch, der aus den weit entfernten Gewässern Norwegens stammt – wurde zum Aushängeschild der venezianischen Küche. Keine Speisekarte, keine Cicchetti-Auslage ohne Baccalà mantecato (mit Olivenöl aufgeschlagener Stockfisch) und Baccalà alla vicentina (mit Milch, Käse und Sardellen).

Warum importieren die Venezianer getrockneten Fisch, wo sie massenweise frischen vor der Haustüre haben? Genau deshalb: Weil es ihn seit jeher in Massen gab. Der getrocknete Fisch, den Seefahrer im 15. Jahrhundert aus Norwegen mitbrachten, war rar und teuer – und damit ein willkommenes Distinktionsmerkmal für die venezianische Oberschicht. (Aus demselben Grund gibt es in der dortigen Küche auch viele fleischige Spezialitäten).

Die breite Masse hingegen aß lokale Meerestiere – Sardinen, Sardellen, Tintenfisch, Muscheln – oder Gemüse, das bis heute auf den umliegenden Inseln angebaut wird. Auf den Cicchetti kommt alles zusammen und das ist eigentlich das Beste an dieser Tradition: Man kann sich problemlos durch sämtliche lokale Spezialitäten futtern.

Zwei Bissen Fischleberpaste mit Radicchio. Ein Häppchen sauer eingelegte Sardinen auf cremigem Cime di Rapa. Ein paar Stücke des in Tomatensoße gekochten Tintenfischs. Wer im Frühling in der Stadt ist, wird mit etwas Glück auch die berühmten, unvergleichlich zarten Artischocken aus Sant’Erasmo in der Cicchetti-Auslage finden.

Gegen Abend, wenn es Zeit für den Aperitif wird, werden die schon nachmittags vollen Lokale immer voller. Klassischerweise zieht man nach Wein, Spritz und Häppchen weiter ins Restaurant. Man kann aber auch in der Bar versacken und sich mit Cicchetti satt essen.

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