piwik no script img

Essen aus dem LaborDer tägliche Mikroben-Mix

Unsere Nahrungsmittel werden immer raffinierter aufgearbeitet. Jetzt auch mit Cocktails aus "effektiven Mikroorganismen". Sind EM-Produkte der neueste Trend?

Längst nicht alle Bakterien sind willkommen in unseren Nahrungsmitteln: Hier werden Proben auf mögliche Gesundheitsgefährdungen geprüft. : dpa

Nach Öko und Bio kommt jetzt EM. Es gibt bereits EM-Kaffee, EM-Gemüse, EM-Erdbeeren, EM-Äpfel, EM-Eier, EM-Fleisch, EM-Wurst, EM-Wein - und demnächst EM-Bier. EM ist eine Lösung aus Zuckerrohrmelasse, von und in der "genau definierte" Milchsäuremikroben, Hefen und Photosynthesebakterien leben. EM bedeutet "Effektive Mikroorganismen". In den Handel gelangt die "braune Flüssigkeit" in Kanistern mit dem "internationalen Zeichen EM1". Zur Anwendung gelangt EM1 in Form von EMa: Dabei handelt es sich um eine "Vermehrung, keine Verdünnung" - von ein Liter EM1 zu 33 Liter EMa. Anwenden kann man EMa nahezu überall. Alles wird dadurch besser.

Diese Mikroben-Cocktails "steigern die Qualität der Lebensmittel signifikant, indem sie mehr als herkömmliche Lebensmittel Freie Radikale binden", erklären die Macher von EM. e.V. Sie können "den Düngemittel-, Fungizid-, Insektizid- und Herbizidaufwand drastisch reduzieren, wenn nicht überflüssig machen." Als feinen Biofilm auf Wunden gepinselt, beschleunigen sie die Heilung. In Freibädern eingegeben, verbessern sie die Wasserqualität - etwa in bisher über 300 japanischen Schulbädern sowie im Hollfelder Freibad, wo das dortige "Zentrum für regenerative Mikroorganismen" dieses "EM-Projekt" begleitet.

Keimschleime und ihr Nutzen

EM - Effektive Mikroorganismen: In Flaschen oder Kanistern angebotene Keim-Cocktails zur Verbesserung der Lebens- und Lebensmittelqualität. Dafür gibt es diverse EM-Lösungen.

Verwendung: Die "effektiven Mikroorganismen" finden überwiegend im Haushalt, in der Landwirtschaft, der Lebensmittelindustrie und im Umweltbereich Verwendung.

Informationen gibt es auf den Webseiten des "EM e.V." und in der Zeitschrift EM-Journal. Hier findet man auch EM-Beratungsstellen sowie die Orte und Zeiten von EM-Stammtischen. Zusätzlich werden Jahreshauptversammlungen veranstaltet, Vorträge und Konferenzen abgehalten und Exkursionen angeboten.

Literatur: Die vom Gartenbauprofessor Teruo Higa ausgebildeten EM-Berater, der Diplomlandwirt Ernst Hammes und Gisela van den Höövel, haben ein Buch über "EM-Lösungen für Haus und Garten" verfasst: Sie erklären, warum der Mikrobenmix in Badezimmern, Autowaschanlagen und Abwassersystemen, bei der Wasseraufbereitung sowie der Sanierung alter Holzmöbel hilft.

Die EM-Aktivitäten sind beseelt von der Erkenntnis, dass die Mikroorganismen nicht nur schädlich sind (Lebensmittel verderben oder Krankheiten übertragen), sondern auch überaus nützlich: Ja, ohne die etwa zwei Kilogramm Bakterien und Pilze an und in unserem Körper wären wir überhaupt nicht lebensfähig. "Geht es den Mikroben in uns gut, geht es auch uns gut", so sagen es die EM-Berater. Mikrobiologen wie Lynn Margulis gehen noch weiter: Sie vermuten, dass sich diese Einzeller einst zusammengeschlossen haben, um Vielzeller - wie uns - zu schaffen, damit sie immer ein ausreichendes Nährmedium zur Verfügung haben. Der Biochemie-Nobelpreisträger Richard J. Roberts kam jüngst zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Zellen in unserem Körper Bakterien sind. Für den japanischen Gartenbauprofessor Teruo Higa, Begründer der EM-Bewegung, gibt es allerdings sone und solche: "Wo gute sind, können sich schlechte nicht ansiedeln."

Die Bauernzeitung schreibt, dass EM bereits in 120 Ländern genutzt wird, allein in Deutschland gibt es über 3.000 EM-Bauern. Einer von ihnen ist der Milchbauer Thomas Unkelbach aus Hergolding: Er sprüht täglich seine Ställe mit einem "EMa-Wasser-Gemisch" aus, seine Kälberverluste sanken seitdem von über 20 Prozent auf unter 5 Prozent. Oder der Hühnerzüchter Bernhard Hennes aus Langenspach: Er installierte einen EMa-Wasser-"Vernebler" im Legehennenstall - und wurde damit der Milbenplage Herr. Sowie Iris Tapphorn, Gänsezüchterin in Lohne, bei der in der Elterntierhaltung dank EM-Einsatz die Darmerkrankungen zurückgingen.

Den EM-Beratern ist am Verkauf ihrer Produkte gelegen, sie bemühen sich um ein immer genaueres Verständnis der Wirksamkeit ihrer Mikroben-Cocktails. Dazu verfolgen sie die Arbeiten der Mikrobiologen, etwa die Forschungen der dänischen Biologin Susse Hansen. Sie fand heraus: "Bevor Bakterien sich zusammenschließen, gibt es eine Art Absprache. Jedes Bakterium sondert Signalmoleküle aus, um seine Anwesenheit zu demonstrieren. Erreicht die Konzentration dieser Stoffe einen Schwellenwert, fangen die Keime mit der Schleimproduktion an. Dieses Kommunikationssystem wird als ,Quorum Sensing' bezeichnet." Die EM-Experten Hammes und Höövel (siehe Kasten) gehen davon aus, dass die Mikroorganismen dabei über Elektronen kommunizieren: "Jede lebende Zelle strahlt ultraschwaches Licht aus." Dieser Forschungsansatz geht auf den russischen Biologen Alexander Gurwitsch (1874-1954) zurück. Die FAZ berichtete jüngst von einer Arbeit an einem WashingStoner Institut mit in Gewässern lebenden Bakterien der Art Shewanella oneidensis. Diese übertragen ihre elektrischen Ladungen über Nanodrähte, mit denen sie sich untereinander verbinden. Ähnlich können auch Cyanobakterien (Blaualgen) solche "elektrisch leitfähigen Strukturen" ausbilden. Anderswo beobachtete man einen "Elektronentransfer per Stromkabel zwischen Mikroben unterschiedlicher Art".

Während hierbei das Kommunikationsmedium erforscht wird, geht es der dänischen Biologin Susse Hansen, aber auch Susanne Häusler vom Braunschweiger Zentrum für Infektionsforschung, um das Zusammenleben der Mikroben: "Ihre Versuche zeigen, dass viele Bakterien im Biofilm nicht einfach nur viele Bakterien sind, sondern eine organisierte, kommunizierende Gemeinschaft, die sich nur schwer zerstören lässt." Robert Kolter von der Harvard Medical School spricht von einer "Stadt der Mikroben": Das "Leben im Biofilm ist wie eine multikulturelle Gesellschaft. Man sucht sich die richtige Wohngegend mit passenden Nachbarn, profitiert von der Arbeit der anderen, und wenn es unerträglich wird, zieht man wieder weg." So werden aus Bakteriologen Stadtforscher. Ironischerweise begann die Stadtforschung einmal in englischen Armenvierteln - unter bakteriologischem Vorzeichen: Es ging dabei um Hygiene - und üble Krankheitserreger. Den EM-Experten geht es nun mitunter auch um Hygiene, die sie jedoch nicht mehr mit keimtötenden Mitteln erreichen wollen, sondern im Gegenteil: mit keimvermehrenden Maßnahmen. Ein "erfolgreicher EM-Einsatz" erfordere allerdings eine "Offenheit im Denken". Und dieses besteht im Grunde aus einer Erweiterung oder Konzentration der Ökologie auf den nichtsichtbaren Bereich.

So bezeichnet dann auch Steven Gill vom Institute of Genomic Research in Rockville, Maryland, die Bakterienflora im Darm zum Beispiel, wo 10 bis 100 Billionen Bakterien leben, als ein "Ökosystem": Zur Aufbereitung unserer Speisen ist die "Zusammenarbeit mehrerer Gruppen von Mikroorganismen in einer Nahrungskette erforderlich. Beim menschlichen Stoffwechsel lässt sich kaum auseinanderhalten, welchen Beitrag der Mensch und welchen die Darmflora leistet. Dass Mensch und Mikroben in enger Symbiose leben, ist seit langem bekannt. Und man weiß auch, dass sie dem Wirt mehr nützen als umgekehrt. Sie bauen unverdauliche Nahrungsbestandteile zu verwertbaren Nährstoffen um, versorgen den Körper mit Vitaminen, die er sich selbst nicht beschaffen kann, und sie halten Krankheiten sowie Entzündungen in Schach." Der britische Chirurg und Bakteriologe Mark Spigelman rät deswegen seinen Kollegen, sich vor einer Operation die Hände in Lösungen aus gutartigen Bakterien, wie etwa solchen aus Joghurt, zu tunken: "Wenn ich als Chirurg ständig meine Hände mit antiseptischer Seife wasche, komme ich am Ende aus dem OP und habe sämtliche normalen, nützlichen Hautbakterien auf meinen Händen abgetötet. Das schafft erst den Raum für die fiesen Keime, sich dort niederzulassen." Auf der menschlichen Haut leben rund 180 Bakterienarten. Die Mikrobiologin Zhan Gao an der New York University fand kürzlich heraus, dass sie sich dem individuellen Lebenswandel der Menschen anpassen: "Nur eine kleine Gruppe von harmlosen Hautbakterien bleibt einem Menschen treu, die meisten Bakterien sind bloß vorübergehend zu Gast. Ihr Gedeihen wird beeinflusst von Faktoren wie Wetter, Licht, Hygiene und Medikamenteneinnahme."

In summa: Die "EM-Technologie" ist bestens wissenschaftlich aufgeladen, was an ihr stört, ist die ständige Betonung der "Effektivierung" aller Lebensvorgänge im Hinblick auf ihre marktwirtschaftliche Verwertung. Zwar wird zugegeben, dass dieses "schmutzige Geschäft" auch und gerade das makro-mikrobiotische Miteinander zerstört hat - nahezu überall, aber wieder ins Gleichgewicht gebracht werden soll es mit einem weiteren Produkt - EM1 , das sich in seiner Warenform als "Allheilmittel" anpreist und somit sämtliche "Fehlentwicklungen" monokausal erklären muss. Am Ende hat diese Mikroorganismologie als angewandte Wissenschaft alle anderen ersetzt. Ist das schon "offenes Denken" - oder noch Teil einer "Biopolitik des Unsichtbaren", von der die Studien einiger Autoren über "Bakteriologie und Moderne" handeln? Diese handeln von der Geschichte des wissenschaftlichen Versprechens "Alles wird gut, wenn wir die ganzen Keime endlich vernichtet haben" - während die EM-Propagandisten uns nun genau das Gegenteil versprechen: einen Biofilm mit Happy End.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • RH
    R. Huber

    Sehr geehrter Herr Goller, wie wäre es denn, wenn Sie sich einfach einmal auf einen Versuch einlassen würden? Probieren Sie doch einfch in Ihrem Garten aus, ob sich etwas verändert. Ich kann Ihnen z.B. ein kleines Beispiel geben. Unsere Rosen waren permanent verlaust. Wenn ich sie mit Seifenwasser eingesprüht habe, gingen die Läuse zwar zu Grunde, die Rosenblätter haben helle Flecken und den Rosen geht es nicht besonders gut dabei, wenn diese Tortour immer wieder stattfindet.

    Ich habe dann einfach den Test mit EM gemacht. Mein Mann hat gestaunt, ich habe gestaunt und auch Sie würden stauenen. Wunderbar glänzende, stabilisierte Blätter und Blüten waren das Ergebnis. Auf diese Weise kann man selbst einen um den anderen Versuch starten und braucht dazu keinem etwas glauben, weil man es selbst erlebt. Wie wär's. Erfahrungsbericht bitte veröffentlichen!

    MfG

  • KW
    Kurt Walter Lau

    Einige wichtige Fakten im Sinne der wettbewerblichen Ausgewogenheit für diesen Beitrag sind sehr schlecht recherschiert. EM-Produkte werden nicht ausschließlich unter dem "internationalen Zeichen EM1" vertrieben. Das erwähnte Zeichen (Produktname) "EM1" wird für eine (!) der so genannten EM-Mutterkulturen von einem (!) der mittlerweile mindestens noch zwei weiteren EM-Produzenten bzw. -Importeuren verwendet. Der Ausgeglichenheit halber möchte ich diese Produktzeichen hier nennen: "EM-Farming" und "TerraBiosa".

     

    Eine weitere Unausgewogenheit fällt mir auf: die Standardwerke des "Erfinders" der EM-Technologie, Prof. Dr. Teruo Higa, werden nicht erwähnt, sondern lediglich ein (!) Titel der EM-Sekundärliteratur. Alle lieferbaren Titel von Dr. Higa sind im Internet recherchierbar. Auch fehlt das wichtige Buch der schweizer Autorin Anne Lorch "EM - Eine Chance für unsere Erde". Dieses Praktiker-Handbuch zur EM-Technologie in Europa hat wesentlich zum tieferen Verständnis der EM-Technologie beigetragen.

     

    Warum die wissenschaftlich untermauerte EM-Technologie häufig in die Esoterikecke gedrängt wird, ist mir schleierhaft. Das scheint wohl generell mit dem Eso-Trend unserer Tage zu tun zu haben, vielleicht aber auch, weil die meisten Menschen keine Möglichkeiten haben, sich unsere "guten" Bakterien einmal unter dem Mikroskop anzusehen. Könnten sie dies, würden sie rasch merken, dass es sich nicht um esoterische "Engelwesen", "Gnome" oder "Geister" handelt, sondern um erdgeschichtlich sehr, sehr alte, real existierende Lebewesen. Ich beschäftige mich seit fast 10 Jahren mit EM-Mikrobenmanagement und kann darin nichts Unerklärbares, Esoterisches entdecken.

  • VG
    Volker Goller

    EM ist neu für mich neu. Um so mehr hätte ich mir einen handwerklich besseren Artikel gewünscht.

    Es fehlt jegliche kritische Hinterfragung (ich lese die TAZ, nicht in der Esotera). Redewendungen wie "wissenschaftlich aufgeladen" suggerieren Wissenschaftlichkeit. Allerdings operiert EM im Eso-Umfeld ("EM-Salz wird bei Vollmond gewonnen").

    So wie die Sache dargestellt wird ist es sehr schwierig sich ein unvoreingenommenes Urteil zu bilden. Für mich ist es jetzt erstmal in der Eso-Ecke - wenn auch manches Argument einleuchtend erscheint. Aber nur weil es sich gut anhört muss es nicht auch gut sein.