Essay zum Erfolgsfilm „Monsieur Claude“: Ignoranz ist die beste Verdrängung
3,5 Millionen Zuschauer haben Philippe de Chauverons Komödie gesehen. Offenbar greift die Freude an der Reproduktion von Ressentiments.
Der Verband der deutschen Filmkritik hat im Frühjahr ein „Flugblatt für eine aktivistische Filmkritik“ veröffentlicht. Es beklagt den Verlust der traditionellen Programmkinos und wünscht sich Streit in der Sache. Wenn auch nicht klar ist, wie sich der Ort finden ließe, um wichtigen Debatten über Filme zur breiten Wahrnehmung zu verhelfen – als Gegenstand böte sich Philippe de Chauverons Komödie „Monsieur Claude und seine Töchter“ schon einmal an. Denn man kann daran viel über den Stand von Kino, Kritik und Kultur ablesen.
Der Film, der im Original „Qu’est-ce qu’on fait au Bon Dieu?“ heißt (etwa: „Was, um Himmels Willen, haben wir nur falsch gemacht?“), kann im laufenden Jahr auf die bislang meisten Besucher in deutschen Kinos verweisen. Über 3,5 Millionen Menschen haben die Komödie gesehen, die, vor 17 Wochen gestartet, noch immer zu den wöchentlichen Top Ten gehört. Ob „Monsieur Claude“ auch am Jahresende Platz 1 der deutschen Charts belegt, bleibt zwar ungewiss – in der vergangenen Woche ist der dritte Teil der „Tribute von Panem“ mit über einer Million Zuschauer gestartet, Anfang Dezember folgt ein neuer „Hobbit“-Film von Peter Jackson.
Aber bemerkenswert ist doch, dass ein 13 Millionen Euro teurer Film, der seine Effekte der Boulevardkomödie verdankt, durchkalkulierte Unternehmungen wie „Guardians of the Galaxy“ (Budget: 136 Millionen Euro) oder „Transformers 4: Ära des Untergangs“ (168 Millionen Euro) übertrumpft.
Eine Erklärung für den Erfolg ist sicherlich, dass „Monsieur Claude“ an ein älteres Publikum adressiert ist: Protagonist ist ein im Wohlstand ergrauter Notar (gespielt von Asterix-Darsteller Christian Clavier) mit vier erwachsenen Töchtern. In der Branche heißt das recht junge Segment nach seinem Publikum „Silberlockenkino“ oder „Kino für die beige Generation“. Der größte Vorteil dieser Zielgruppe ist, dass sie zum Filmegucken noch auf das Programm von Filmtheatern setzt und sich nicht im Netz die Streams raussucht.
So können Stars wie Michael Douglas („Last Vegas“), Robert de Niro und Sylvester Stallone („Zwei vom alten Schlag“, beide 2013) mit ihrem Publikum alt werden, während man in Deutschland wieder auf Namen wie Heiner Lauterbach stößt. Der erfreute sich an der Seite von Gisela Schneeberger und Michael Wittenborn dieses Jahr in Ralf Westhoffs Zwei-Generationen-WG-Film „Wir sind die Neuen“ einiger Beliebtheit (860.000 Besucher). Ein anderes Beispiel wäre Didi Hallervorden, der nach dem Comeback in „Sein letztes Rennen“ (2013) ab Weihnachten im neuen Til-Schweiger-Film „Honig im Kopf“ mit von der Partie sein wird.
Arthouse ist immer besser
Anschaulich macht der „Monsieur Claude“-Erfolg (zum Verdruss vom Filmkritikerverband), wie prekär eine Kategorie wie Arthouse ist. Es käme merkwürdig daher, eine wenig raffinierte Inszenierung, deren natürliches Umfeld auf der Bühne eben der Boulevard wäre (auf dem „Monsieur Claude“ als Adaption bestimmt bald auftauchen wird), im Kino als Filmkunst zu feiern. Für das, was Autorenkino einmal war, sieht Chauverons Handschrift zu sehr nach gedruckten Buchstaben aus.
Besonders schön illustrierte dieses Zuordnungsproblem die samstägliche Filmsendung von Deutschlandradio Kultur. In „Vollbild“ werden im wöchentlichen Wechsel nämlich die Arthouse- und die Mainstream-Charts vorgestellt, mit dem Resultat, dass „Monsieur Claude“ schließlich in beiden auftauchte. Von größerem Interesse ist diese Bestimmung, insofern im E-und-U-Deutschland das Label Arthouse gratis Distinktionsgewinne verschafft: Das Programm des kleinen, sympathischen Kinos um die Ecke gilt hier automatisch als gehalt- und kulturvoller im Vergleich zu den (US-amerikanischen) Großproduktionen, die in den nach Popcorn und Käse-Dip riechenden Multiplexsälen gezeigt werden.
Dabei, und da stimmen die 3,5 Millionen Zuschauer dann nachdenklich, ist „Monsieur Claude“ keineswegs die kluge, sympathische Komödie von nebenan, sondern, was sein Menschenbild betrifft, ein ziemliches Ekelpaket, das mit plumpem Ho-ho-ho-Humor die eigenen Vorurteile feiert: Claviers Musterfranzose leidet darunter, dass seine Töchter – ethnisch, kulturell oder religiös betrachtet – Nichtmusterfranzosen heiraten: einen Muslim, einen Juden, einen Chinesen und – das ist, ganz humorvoll versteht sich, der Gipfel – einen Schwarzen.
Unschuldige Nationalfrauenkörper
Worauf tiefenpsychologisch eine Anlage schließen lässt, in der vier gutaussehend-unschuldige Nationalfrauenkörper von „unreinem Blut“ gefreit werden, das in der „Marseillaise“ (die in einer Szene zum Schwiegervater-Besänftigen abgesungen wird) die eigenen „Furchen“ tränken soll, muss man nicht einmal fragen. Auch um nicht den Eindruck zu erwecken, man interpretiere in einen „harmlosen“ Film „zu viel“ hinein: Sich Gedanken zu machen, das mögen die Verteidiger des Films nämlich gar nicht. Es reicht schon zu sehen, dass „Monsieur Claude“ nie über Klischees und Kollektivsingular hinaus will (obwohl jeder Fan sagen wird, der Film spiele mit den Klischees). Alle Schwiegersöhne agieren immerfort nur als Repräsentanten der Gruppen, die dem verunsicherten Herkunftsfranzosen heute Angst einjagen.
Wenn der Film also etwas befriedet, dann ist es der Brass von Front-National-Wählern, nicht aber das gesellschaftliche Miteinander. Bewegung ins Denken des Protagonisten kommt in den knapp 100 Minuten, die der Film sich zieht, auch durch die neue Verwandtschaft nicht. Die Pointe von „Monsieur Claude“ besteht darin, dass der Titelheld seine Ressentiments behalten darf, weil die anderen – wie der ivorische Vater von Schwiegersohn Nr. 4 – auch welche haben. Und das ist dann das Ätsch-Bätsch-Niveau, auf dem Bestsellerautoren wie Harald Martenstein sich in ihren Spitzfindigkeiten als „Hausschwein“ gefallen, das ist der Toleranzbegriff, mit dem die ARD in Themenwochen ihrer Vorstellung von Nächstenliebe und Humanismus Ausdruck zu verleihen versucht.
Immerhin zerstören die 3,5 Millionen Besucher von „Monsieur Claude“ die Vorstellung, dass es sich bei den von lauter fremder Kultur und divergierender Praxis überforderten Autochthonen um eine verfolgte Minderheit handelt. Im Gegenteil: 3,5 Millionen Menschen sind, vor allem in ihrer ökonomischen Potenz, eine ziemlich große Mehrheit in dem Raum, der Öffentlichkeit als Schnittpunkt von Mediennutzern, Kinogängern und Theaterzuschauern meint. Und deshalb kann einen das kalte Grausen packen, dass sich das soigniert-wohlanständige, (west-) deutsche Bürgertum, das Goethe im Regal und guten Wein im Keller hat, bei „Monsieur Claude“ auf die Schenkel klopft. Leute, die sich um die Folgen des Internetzugangs ihrer Enkel sorgen, pfeifen sich selbst unreflektiert-amüsiert die hemdsärmelige Reproduktion von Rassismen rein.
Rassismus, was ist das?
Was damit zu tun hat, dass es in Deutschland, Ignoranz ist die beste Form der Verdrängung, recht spärliches Wissen darüber gibt, was das eigentlich ist: Rassismus. So hat die SZ den Film unlängst als „Rassismus-Komödie“ bezeichnet. Während eine „Antisemitismus-Komödie“ nur als bewusste Verbalentgleisung von Nazis denkbar wäre, kann „Rassismus-Komödie“ hierzulande wie ein Genre klingen. Unfreiwillig stimmt es ja sogar: „Monsieur Claude und seine Töchter“ versucht, aus rassistischem Denken und Sprechen Komik zu produzieren. Dass dem Film das glanzvoll gelänge, behaupten selbst die Kritiken nicht, die ihn für seine politischen Überzeugungen schätzen.
Insofern bleibt der Trost idealistischer Ästhetik: Kunst gelingt nur, wenn sie nach dem Guten, Wahren, Schönen strebt. Anders gesagt: Eine Gesellschaft, deren angeblich tragende Schicht einen solchen Lieblingsfilm hat, ist keine angenehme Gesellschaft.
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