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Essay über die Linke und die ShoahNeue Verdammte gesucht

Alain Finkielkraut untersuchte vor 40 Jahren, warum die antitotalitäre Linke die Shoah relativierte. Heute liest sich sein Essay bestürzend aktuell.

Hat die Linke systematische Probleme mit dem schwierigen Eingedenken an die Chiffre Auschwitz? Finkielkraut sieht es so Foto: Oliver Tamagnini/plainpicture

Im Dezember 1980 löste die Veröffentlichung eines Buchs des bis dato kaum über seinen Fachbereich hinaus bekannten Literaturwissenschaftlers Robert Faurisson eine anhaltende Kontroverse in der französischen Öffentlichkeit aus. Denn in seiner „Verteidigungsschrift gegen diejenigen, die mich der Geschichtsfälschung beschuldigen“ stellte Faurisson mit einigem Getöse die Behauptung auf, die Gaskammern von Auschwitz seien eine Erfindung der Juden gewesen, deren Vernichtung Adolf Hitler zudem niemals beabsichtigt habe.

Doch es war nicht allein die ebenso zynische wie plumpe Leugnung der Vernichtung des europäischen Judentums, die Aufsehen erregte. Irritierend war noch etwas anderes. So war das Buch mit La Vieille Taupe nicht nur in einem Verlag erschienen, dessen Gründer dem unorthodoxen Marxismus der 1960er Jahre nahegestanden hatten.

Auch ein als Vorwort beigefügter Aufsatz über Meinungsfreiheit, der die Publikation implizit rechtfertigte, stand weit weniger in der Tradition der Nouvelle Droite als vielmehr von dessen vorgeblichen Antipoden. Genaugenommen war sein Verfasser einer der wohl einflussreichsten internationalen Intellektuellen der damaligen Linken: Noam Chomsky.

Diese Konstellation nahm der französische Philosoph Alain Finkielkraut zum Anlass, um im Rahmen eines längeren Essays über die schrittweise „Auslöschung“ von historischem Bewusstsein nachzudenken. Im Zentrum seines 1982 veröffentlichten Texts stand allerdings nicht Faurisson, dessen Geschichtsrevisionismus ebenso offensichtlich wie haltlos war. Was Finkielkraut weit mehr interessierte, war ein allgemeineres Zerbrechen des Erkenntnisvermögens, das er „hinter dem Schwachsinn des Einzelfalls“ ausmachte.

Das Buch

Alain Finkielkraut: „Revisionismus von links“. Aus dem Französischen von Christoph Hesse. ça ira Verlag, Freiburg/Wien 2024, 204 Seiten, 26 Euro

Und zu seiner Bestürzung schien die Wahrnehmung des Holocaust gerade dort zu erodieren, wo man sich wie Chomsky auf der Seite von Aufklärung und Fortschritt wähnte, nämlich der politischen Linken.

Zugespitzte Form des Klassenkampfs

Die Gründe dafür erkannte Finkielkraut in einem spezifischen, mit den geistesgeschichtlichen Traditionslinien der Linken verbundenen Ressentiment gegen die Juden. Dessen kontinuierliche Transformationen skizziert der Essay in einer weiten historischen Ausholbewegung von der Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Dekaden der Nachkriegszeit. Dabei führt Finkielkraut aus, dass bereits im universellen Anspruch des nach Marx und Engels entwickelten Historischen Marxismus der Blick auf jüdische Partikularität verstellt blieb.

Im dualistischen Schema des Klassenkampfs galten neben dem Antisemitismus auch die Juden selbst als Ausdruck historischer Ungleichzeitigkeit, der sich mit der Revolution zwangsläufig aufzulösen hat. Doch anstelle der Revolution mündete der Gang der Geschichte in den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust, der jeden Fortschrittsoptimismus dementierte.

Um dennoch an der traditionsmarxistischen Deutung der Geschichte festhalten und zugleich den Nationalsozialismus als lediglich zugespitzte Form eines kapitalistischen Regimes im Sinne des Klassenkampfs deuten zu können, mussten die mit der Chiffre Auschwitz verbundenen Ereignisse zwangsläufig relativiert werden.

In ihrer verdichteten Schärfe ist Finkielkrauts historische Herleitung durchaus erhellend. Weit beeindruckender ist hingegen sein Blick auf die Umbrüche der damaligen Gegenwart. Vier Jahre bevor sich auch in Deutschland mit dem sogenannten Historikerstreit die Rede von der Singularität des Holocaust verbreiten sollte, charakterisierte Finkielkraut die Ermordung der europäischen Juden bereits als in der Geschichte „beispielloses Verbrechen“. Zugleich erkannte er, dass diese Wahrnehmung, noch bevor sie überhaupt in Gänze durchgedrungen war, sich schon längst wieder in der Auflösung befand, stand doch die gesamte Epoche vor einer – wie er schreibt – Zeitenwende.

Das Eingedenken ist komplex

Unter dem Eindruck postmoderner Theorie war ab den 1970er Jahren eine antitotalitäre Linke entstanden, die die Spezifik des Holocaust nicht länger im Sinne der Metaphysik des Klassenkampfs ignorierte, sondern dessen Differenz zu anderen Verbrechen im Namen der Äquivalenz einebnete. In den Augen dieser Linken hatten die Juden zwar lange Zeit das größtmögliche Opfer symbolisiert. Doch mit der Gründung eines wehrhaften Israels hätten sich die vormals Gepeinigten nun selbst in Peiniger verwandelt. Weshalb es an der Zeit sei, dass nun „neue Verdammte an ihre Stelle“ träten.

Fast so, als habe er die weitere Zuspitzung bis hin zu Dirk Moses’ unsäglichem Katechismus der Deutschen bereits vorweggenommen, diagnostizierte Finkielkraut, dass sich jene linken Revisionisten bereits damals als „Märtyrer der Aufklärung“ und Ikonoklasten eines von ihnen selbst zur Religion erklärten Gedenkens an den Holocaust verstanden. Ihnen, die „mit einer Vulgarität, die wehtut, von Priestern des Holocaust“ sprächen, hielt er entgegen, dass das Eingedenken in dessen Eigenheiten weitaus komplexer sei als jede Karikatur.

Übersetzt von Christoph Hesse und von Niklaas Machunsky mit einem Nachwort versehen, ist Finkielkrauts Essay nun unter dem Titel „Revisionismus von links“ im Freiburger ça ira Verlag erstmals auf Deutsch erschienen. Über vierzig Jahre nach der ursprünglichen Veröffentlichung ist die von Finkielkraut beschriebene „Zukunft einer Negation“, so der weit treffendere Originaltitel, längst zur Gegenwart geworden.

Dass sich der Text noch immer liest wie ein Kommentar zur Zeit, ist nicht nur Ausweis der bemerkenswerten Hellsicht seines Autors, sondern kommt insbesondere nach den Ereignissen des 7. Oktober 2023 auch einem Offenbarungseid für letzte Überreste der Linken gleich.

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3 Kommentare

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  • Danke, Herr Böckmann. Schockierend und todtraurig. :-(

  • "Doch mit der Gründung eines wehrhaften Israels hätten sich die vormals Gepeinigten nun selbst in Peiniger verwandelt."

    Israel war über 3000 Jahre lang Opfer.

    Ein wehrhaftes Israel zu kritisieren ist nichts anderes als blanker Antisemitismus. Manche möchten halt, dass sich Juden auf immer und ewig abschlachten lassen. Und werden alles dafür tun ihre Projektionen unreflektiert zu lassen.

    Danke für den sehr guten und notwendigen Artikel.

    • @shantivanille:

      Nein,"Israel" war keineswegs 3000 Jahre lang Opfer. Juden haben in der ganzen Zeit im Nahen Osten gelebt. Und sie haben in diesen 3000 Jahren dort nicht mehr -und wohl auch nicht weniger- Gewalt durchleiden müssen wie Armenier, Kurden, Jesiden, ja sogar Christen. Irgendwann waren alle Gruppen mal mehr mal weniger Opfer. "Israel" gabe es die meiste Zeit gar nicht - und Juden sind -wie praktisch alle Religionsgruppen und Völker in diesen 3000 Jahren mal hierhin, mal dorthin ausgewandert.



      Juden übrigens aus verschiedenen Regionen des Nahen Ostens sind erst nach der Gründung aus ihren Siedlungsorten dort nach Israel ausgewandert. Meistens ohne vertrieben worden zu sein.



      Vertriebene Juden sind in Israel vornehmlich aus europäischen Gebieten inkl. Russland eingewandert.