Essay Krise im Jemen: Der Krieg der Anderen
Im Jemen tobt ein Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Schwächeren: Sie ertragen den Hunger und viele Tote, aber nicht die Hoffnungslosigkeit.
D er Krieg im Jemen ist das Ergebnis von unfähigen Führern – und zwar auf regionaler wie lokaler Ebene. Sie haben es schlicht versäumt, das Land durch die Übergangsphase zu führen und politische Lösungen für die internen Verwerfungen zu finden. Hinzu kommt das Unvermögen der internationalen Gemeinschaft, die den Konflikt zusätzlich anheizte, anstatt zu deeskalieren. Einseitige Regelungen und Konzessionen zugunsten nur der jeweils mächtigen Gruppierungen trieben den innenpolitischen Keil immer tiefer und schwächten den Staat.
Entsprechend konnte der unter UN-Schirmherrschaft geführte Dialog zwischen den jemenitischen Parteien den Krieg auch nicht verhindern. Stattdessen stürzten die Huthis die legitime Führung, zogen in der Hauptstadt Sanaa ein und stellten den Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi unter Hausarrest. Mit dessen Flucht nach Aden und seinem Ruf nach ausländischer Intervention geriet die Lage vollends außer Kontrolle. Damit trat ein, was die Jemeniten am meisten gefürchtet hatten: Krieg.
Die internen Kämpfe im Land eskalierten, als die Militärallianz unter Führung Saudi-Arabiens ihre „Sturm der Entschlossenheit“ genannte Offensive gegen die Huthis und die bewaffneten Anhänger von Expräsident Ali Abdullah Salih startete. Die Einmischung Saudi-Arabiens und der Golfstaaten in die jemenitische Krise mit dem Ziel, den gestürzten Präsidenten Hadi wieder zu installieren, hat jede politische Option zunichtegemacht und denen die Macht übertragen, die den militärischen Weg anstreben.
Seither sind zwei Monate vergangen, ohne dass eine Partei die Schlacht für sich hätte entscheiden können. Stattdessen toben überall im Land bewaffnete Kämpfe. Gleichzeitig bombardiert die Allianz unausgesetzt die Stellungen der Huthis und der Anhänger Salihs. Eine Reihe von Fehlschlägen haben Hunderte von Zivilisten das Leben gekostet. Hinzu kommt, dass die Versorgung zusammengebrochen ist. Es fehlt an Brennstoff und Nahrungsmitteln. Zu Tausenden fliehen die Zivilisten in die ländlichen Gebiete oder über den Seeweg nach Dschibuti und Somalia.
ist Publizistin und Autorin. Sie begleitete die Arabellion im Jemen mit politischen Analysen und nahm an den Demonstrationen teil. Sie schreibt regelmäßig für die jemenitische Onlinezeitung Alarabi al Jadeed, die auch auf Englisch erscheint. 2012 erschien ihr erster Roman „Hinter der Sonne“.
2013 erhielt sie den Pariser Françoise-Giroud-Preis für die Verteidigung der Freiheit und den Preis für „Leaders für Democracy“ in Washinghton.
Entfremdung der Bevölkerung
Die gegenwärtige Krise im Jemen erwächst aus einer tiefgreifenden Entfremdung verschiedener Bevölkerungsgruppen untereinander, die sich im Lauf der Zeit aufgebaut hat und mittlerweile die ganze Region bestimmt. Der Schaden ist unermesslich. Es sterben so viele Menschen, von den materiellen Schäden nicht zu reden.
Keine der an diesem doppelten Krieg beteiligten Seiten besitzt moralische Legitimität. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Stellvertreterkrieg, also einen Krieg der Regionalmächte, der auf dem Boden des Schwächeren ausgefochten wird. Dieser Krieg wird zur Zersplitterung des Jemen in verfeindete Gebiete führen. Der Jemen ist dabei, zu einem Tummelplatz regionaler Konflikte mit konfessionellem Etikett zu werden. Denn er bietet bewaffneten Terrorgruppen ein sehr gutes Terrain. Das gilt für die schiitische Fraktion, vertreten durch die Huthis, genauso wie für die sunnitische Fraktion, vertreten durch die al-Qaida.
Auch wenn die Realität im Jemen schon jetzt das Schlimmste befürchten lässt, beruft sich keine der Konfliktparteien auf die Menschlichkeit, um die angelaufene Kriegsmaschinerie zu stoppen. Keiner der Beteiligten fordert den Dialog oder eine politische Lösung. Stattdessen schalten sie allesamt auf stur und setzen auf die militärische Aufrüstung.
Eine Familie flieht 1945 aus dem Sudetenland. Zwei Brüder landen in der DDR, einer in der BRD. Einer empfindet sein Schicksal als gerechte Strafe. Der andere darf es als Vertriebenenvertreter zelebrieren. Der dritte stirbt.
Die persönliche Generationengeschichte unserer Autorin zum Tag von Flucht und Vertreibung lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Juni 2015. Außerdem: Anfangs war sie die hübsche Frau zwischen nicht mehr ganz jungen Professoren. Jetzt plant Frauke Petry, AfD-Chef Bernd Lucke von der Spitze zu verdrängen. Wie weit will sie nach rechts? Und: Ein Paar wurde inhaftiert, weil es Sex im Schwimmbad hatte. Lohnt das? Oder bleibt man besser im Bett? Die Streitfrage „Rein oder raus?“ mit Gastbeiträgen der Rapperin Lady Bitch Ray und des Schriftstellers Saša Stanišić. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Diese Haltung zeigte sich auch deutlich im Rahmen der Riad-Konferenz, deren Ergebnis eine jemenitische Front war, die aus dem Landesinneren heraus den abgesetzten Präsidenten Hadi und die Allianz unterstützt. Gleichzeitig sind die Huthis gemeinsam mit Salih entschlossen, das Land in Schutt und Asche zu legen. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht doch noch vermittelnd einschreitet, wird der Jemen in einem langen, blutigen Krieg versinken.
Gleichgültigkeit der USA
Um eine politische Lösung zu ermöglichen und weitere militärische Eskalationen und humanitäre Katastrophen zu verhindern, braucht es einen strukturierten Aufbau von Vertrauen. Nur dann kann ein jemenitisch-jemenitischer Dialog unter der Schirmherrschaft der UN erfolgreich sein.
Genau daran aber fehlte es bei dem von den UN für Ende Mai in Genf anberaumten jemenitischen Verhandlungen. Sie kamen daher auch nicht zustande.
So lehnte die legitime jemenitische Führung jede Teilnahme an Gesprächen ab, die sich nicht auf die Autorität der Golf-Initiative, die Inhalte des nationalen Dialogs und die UN-Resolution 2216 berufen. So weit, so schlecht.
Eine neue Gesprächsrunde müsste sich qualitativ von den bisherigen Versuchen unterscheiden und die Flickschusterei beenden. Statt eilige Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, die keine belastbare und nachhaltige Lösung herbeiführen, sondern den Konflikt nur verschärfen, braucht es ein tatsächliches Friedenskonzept.
Doch mich, die ich in Sanaa lebe, stimmt der bisherige Ansatz wenig optimistisch. Genauso wenig wie die Gleichgültigkeit der USA. Es bleibt also nur die EU.
Vor allem Deutschland, Frankreich und Großbritannien könnten aufgrund ihrer historisch gewachsenen Beziehungen zum Jemen etwas bewirken. Sie könnten vermittelnd eingreifen und einen wirklichen Dialog initiieren.
Machtpolitische Interessen
Dabei wären im Grunde zwei Dialoge zu führen: ein nationaler Dialog zwischen den jemenitischen Konfliktparteien. Und ein regionaler Dialog zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die ihre machtpolitischen Interessen im Jemen geltend machen. Der Krieg lässt sich nur beenden, wenn die Einmischung der beiden Länder in jemenitische Angelegenheiten unterbunden wird.
Fraglos ist die Befriedung kein leichtes Unterfangen, sondern eine große Herausforderung für die internationale Gemeinschaft und all jene, die das Blutvergießen beenden wollen. Sowohl lokale als auch regionale Probleme erschweren die Lage.
Ein Dialog ist nur möglich, wenn an beide Parteien die gleichen Anforderungen gestellt werden. Die Huthis und Salihs Truppen müssen die Angriffe auf die Zivilbevölkerung einstellen und sich aus den Gebieten zurückziehen, die sie erobert haben. Gleiches gilt für die Allianz. Sie muss ihre Militäroffensiven einstellen. Zusätzlich sind internationale Beobachter vonnöten, die den Waffenstillstand sichern. Nicht zuletzt auch, damit die Hilfsgüter in die betreffenden Gebiete gelangen können.
Die geopolitischen Hürden dagegen resultieren aus der Politik des Iran und Saudi-Arabiens. Beiden Ländern ist aus eigenen machtpolitischen Interessen an einer dauerhaften Krise im Jemen gelegen, und daher heizen sie diese aktiv an, ungeachtet der verheerenden Folgen, die der Krieg für Millionen von Menschen hat.
Frauen helfen Opfern
Nachdem alle zivilen und politischen Kräfte vom Krieg absorbiert worden sind, gibt es im Jemen keine zivilgesellschaftlich-politischen Stimmen mehr. Der Fanatismus hat die revolutionären Kräfte von der Bildfläche verschwinden lassen. Die jungen Leute, die 2011 protestierend durch die Straßen zogen, sind – nun ideologisch, konfessionell und lokalpolitisch polarisiert – zum Instrument des Konflikts geworden. Nur einige wenige Personen aus der Aufbruchsbewegung haben sich nicht in den Krieg oder in enge ideologische und konfessionelle Zusammenhänge einbinden lassen.
Doch gerade sie sind politisch völlig machtlos. Denn sie haben kein mediales Forum und sind außerstande, ein nationales Konzept zu entwickeln, das den internen Konflikt lösen und Frieden schaffen könnte. Also sind sie zu anderen Taktiken übergegangen. Sie haben humanitäre Aufgaben übernommen und bieten Flüchtlingen und Kriegsopfern Hilfe an. Vor allem Frauen engagieren sich in diesem Bereich.
Doch diese zivilen Kräfte konnten, eben weil sie politisch unabhängig sind, noch keine gesellschaftlich übergreifende, dritte Linie formieren, zumal sich im Land mittlerweile eine tiefe Kluft aufgetan hat. Nicht zuletzt auch durch Zutun der internationalen Gemeinschaft, die mit ihrer falschen Politik die Konfliktparteien gestärkt, den Dialog nicht ausreichend gefördert und gegenüber den kriegswilligen, destruktiven Kräften keine klare Gegenposition eingenommen hat.
Die Jemeniten befinden sich in einem Krieg, der nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Visionen zerstört. Die Menschen nehmen Tod und Hunger mit sagenhafter Geduld hin. Doch sorgenvoll schauen sie in die Zukunft und fragen sich: Wer wird den Bruderkrieg beenden? Wann wird ein Funken Hoffnung aufleuchten und dem Leid ein Ende setzen?
Aus dem Arabischen von Leila Chamaa
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