Eskalation in Syrien: Blutigstes Massaker seit März 2011
UN-Beobachter sind entsetzt: Der Angriff auf die Ortschaft Treimsa mit mindestens 115 Toten galt Deserteuren und Aktivsten. Die Syrische Regierung erklärt, es seien Terroristen gewesen.
DAMASKUS afp/dpa | Der Angriff auf die zentralsyrische Ortschaft Treimsa galt nach Einschätzung der UN-Beobachter offenbar in erster Linie Aufständischen und Regierungsgegnern. Es seien allem Anschein nach vor allem Häuser von „Deserteuren und Aktivisten“ attackiert worden, erklärte die Sprecherin der Beobachtermission am Samstag nach einem Besuch in der Ortschaft. Bei neuer Gewalt starben nach Angaben von Aktivisten in Syrien 115 Menschen.
Es wäre damit das blutigste Massaker seit Beginn der gewaltsamen Niederschlagung der Protestbewegung gegen Staatschef Baschar al-Assad im März 2011. Das syrische Militär hatte erklärt, in Treimsa „zahlreiche Terroristen“, aber keine Zivilisten getötet zu haben. Die Militäraktion sei gegen „Terroristen“ und deren Verstecke gerichtet gewesen.
„Es gab Blutlachen und Blutflecken in den Räumen mehrerer Häuser sowie Patronenhülsen“, erklärte UN-Sprecherin Sausan Ghosheh. In Treimsa seien zahlreiche Waffentypen eingesetzt worden, darunter Artilleriegeschütze, Granatwerfer und leichte Schusswaffen. Ein Schulgebäude sei ausgebrannt, in mindestens fünf weiteren Häusern habe es ebenfalls gebrannt. Wieviele Menschen getötet worden seien, sei noch unklar.
Die UN-Sprecherin zeigte sich „zutiefst beunruhigt über die Eskalation der Gewalt“ und forderte von der Regierung ein Ende des Einsatzes schwerer Waffen in bewohnten Gebieten. Alle Konfliktparteien müssten ihre Waffen niederlegen. Die UN-Beobachter wollten am Sonntag erneut nach Treimsa reisen.
Die Gewalt hielt derweil offenbar unvermindert an. Armee und Milizen stürmten am Samstag die Ortschaft Cherbet Ghasale in der südlichen Provinz Daraa. Nach Angaben von Aktivisten wurde die Ortschaft zunächst von Helikoptern aus beschossen, bevor hunderte Soldaten und Milizionäre unterstützt von Panzern in die Siedlung eindrangen.
Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete zudem von stundenlangen massiven Angriffen rund 30 Kilometer westlich der nordsyrischen Stadt Aleppo. Explosionen und Schüsse waren am Samstagabend demnach sechs Stunden lang zu hören. Nach Angaben der Aufständischen beschoss die Armee drei Städte in der Region mit schwerer Artillerie. Die in London ansässige syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte, am Samstag seien landesweit 115 Menschen getötet worden, unter ihnen 50 Zivilisten.
Die syrische Regierung hat jede Schuld an dem Blutbad in dem Dorf Treimsa von sich gewiesen. Der Sprecher des Außenministeriums, Dschihad al-Makdisi, sagte am Sonntag vor der Presse in Damaskus, die Armee habe in dem Dorf am vergangenen Donnerstag 37 Kämpfer getötet. Bei der Operation seien nur zwei Zivilisten ums Leben gekommen. Die Kämpfer der Opposition hätten vor dem Angriff in dem Bezirk Menschen entführt und die Bevölkerung terrorisiert.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte China am Samstag dazu auf, bei der Lösung des Syrien-Konflikts eine aktive Rolle zu spielen. Bei einem Telefongespräch mit Chinas Außenminister Yang Jiechi habe Ban darauf gedrungen, dass China „seinen Einfluss“ nutzen müsse, um eine „vollständige und sofortige Umsetzung“ des Sechs-Punkte-Plans des Syrien-Sondergesandten Kofi Annan und der Beschlüsse der Syrien-Aktionsgruppe sicherzustellen, sagte ein UN-Sprecher. Ban hatte zuvor gewarnt, sollte der UN-Sicherheitsrat den Druck auf die Führung in Damaskus nicht erhöhen, wäre dies eine „Lizenz für weitere Massaker“.
China hat gemeinsam mit Russland zwei Resolutionen des UN-Sicherheitsrats blockiert, mit denen der Westen den Druck auf Syriens Staatschef Baschar al-Assad erhöhen wollte. Seit kurzem wird in New York über einen neuen Resolutionsentwurf verhandelt. Ban reist in den kommenden Tagen zu politischen Gesprächen nach China. Annan wird am Montag in Moskau erwartet.
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