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Es war einmal in der Schweiz

Schwule Selbstzerstörung in den Siebzigern: Der Film „Fögi ist ein Sauhund“ erzählt eine ordentlich kaputte Liebesgeschichte

Es gab mal eine Zeit, nennen wir sie die Siebziger, da befand sich auch die Schweiz in einer wunderbaren Endlosschleife. Es gab kein Aids, die Songs schrummelten ewig vor sich hin und irgendeiner drehte immer einen Joint. In dieser Zeit verliebt sich Beni zum ersten Mal und zwar in Fögi, der mit nacktem Oberkörper ein bisschen Garagen-Glamrock auf die Provinzbühnen bringt.

„Fögi ist ein Star“, heißt es, aber trotzdem nimmt Fögi den 16-jährigen Beni erst mit auf Tour – und dann mit ins Bett. Dass sich damit zwei gefunden haben, wird erst deutlich, als Fögis Band und die Beziehung wieder auseinander fallen. Während sich der Rockstar und Teilzeit-Dealer vor dem Ende des Jungseins fürchtet, verleugnet Beni erfolgreich den Zerfall seiner großen Liebe. Alles soll immer so weitergehen, die Drogen, die Gefühle, die Musik.

Das Arrangement ist einfach: Beni darf bleiben, weil er auf dem Strich das Geld für Fögis zunehmende Drogensucht verdient. Regisseur Marcel Gislers versucht das Festhalten an der totalen Liebe nicht als regressive Hoffnung zu entlarven. Er registriert das Geschehen bloß aus einer gebührenden Distanz. Denn nicht nur der eh schweigsame Frédéric Andrau (Fögi), auch Vincent Branchet legt sich im Lauf des Films eine jungmännische Undurchschaubarkeit zu. Und das Siebzigerjahre-Setting passt zwar zu den Sehnsüchten von Fögi und Beni, aber es wird deshalb doch nicht gleich zum Ausdruck innerer Zustände. Wie schon in Gislers Achtzigerjahre-in-Berlin-Filmen („Tagediebe“ z. B.) beschränkt sich der Blick meist auf die Wahrnehmung einer hippen Außenwelt, auf Gesichts- und Straßenzüge, Kleider und Wohnungen. Den grenzenlosen Gefühlen, deren Auswirkungen der Film so genau beobachtet, nähert er sich damit nur langsam an.

Also erwischt es einen kalt. Wie Fögi (nach einer Versöhnung) seinen Freund das erste Mal an einen Kunden vermittelt oder der jaulende Beni aus dem Bett getreten wird – es gibt lauter solche kleinen Schockmomente, in denen erst deutlich wird, dass die verlängerten 70er längst zwanghafte Züge bekommen haben. Trotzdem handelt es sich bei „Fögi ist ein Sauhund“ nicht einfach um das Protokoll einer Selbstzerstörung, sondern um einen Liebesfilm.

Nur dass am Schluss das größtmögliche Unglück vom Happy End nicht mehr zu unterscheiden ist. Und das tatsächlich glimpfliche Ende eine deprimierende Angelegenheit bleibt. Denn als der Film endlich den damals sprichwörtlichen Strand unter der zugepflasterten Alltagswelt entdeckt, sieht man zwar kurz, wie alles hätte sein können. Aber dann bleibt doch wieder einer außen vor, wenn auch am Leben. Kerstin Stolt

„Fögi ist ein Sauhund“. Regie: Marcel Giesler. Mit: Frédéric Andrau, Vincent Branchet u. a. Schweiz, Frankreich 1998, 92 Min.

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