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Es war einmal: Vater-Mutter-Kind Von Andrea Böhm

AmerikanerInnen sind Workshop- süchtig. Übergewicht, Alkoholismus, Workholismus, Angst vor Bewerbungsgesprächen, Klaustrophobie in Aufzügen, Barkeeping, Schriftstellerei, Buddhismus, Imageverbesserung, Selbstbewußtseinssteigerung, Weinanbau, Sexbesessenheit, Ikebana, Hausstauballergie — alles läßt sich in diesem Land durch Workshops entweder bekämpfen oder erlernen. Auch der zivilisierte Umgang bei einer Ehescheidung.

Durchschnittlich dauert der Bund fürs Leben made in America nur noch sieben Jahre. Familien- und ScheidungsrichterInnen trennen in immer mehr Bundesstaaten nicht nur die Ehen, sondern schicken die Kontrahenten samt Nachwuchs in „Scheidungs-Workshops“. Wer die Teilnahme verweigert, wird nicht geschieden. Da lernen er und sie „scheidungsbezogene Konfliktlösungsstrategien“: daß man zum Beispiel die Ex-Ehefrau nicht weiterhin mit physischer Gewalt bedroht; die Kinder nicht dazu benutzt, die neuen Liebesverhältnisse des Ex-Gatten respektive der Ex-Gattin auszuspionieren, oder sie als Druckmittel für höhere Alimente mißbraucht.

Lernziel Nummer eins ist löblich, der Lernerfolg bei den Männern aber eher mäßig, wie die Polizeistatistiken zeigen. Lernziel Nummer zwei sollte eigentlich selbstverständlich sein; und Lernziel Nummer drei zeugt von einer gewissen Weltfremdheit der Familiengerichte: Die Mehrheit (63 Prozent) aller alleinerziehenden Mütter in den USA erhalten von den Vätern ihrer Kinder keinen Cent.

Angesichts dieser labilen Familienverhältnisse sollte man für jedes Kind froh sein, das beim abendlichen Fernsehen außer der Fernbedienung noch ein Elternpaar vorfindet. Buford M. Parsons jr., Familienrichter im US-Bundesstaat Virginia, sah das offenbar anders, als er unlängst Sharon Bottoms das Sorgerecht für ihren zweijährigen Sohn Tyler aberkannte, weil die nicht etwa mit Tylers Vater oder irgeneinem anderen Mann, sondern mit ihrer Lebenspartnerin April Wade zusammenlebt. In Virginia verstößt Homosexualität gegen das herrschende Verbot von Sodomie. Darüber hinaus fand es Richter Parsons höchst besorgniserregend, daß Tyler in der Partnerin seiner Mutter eine Art Vaterfigur entdecken und damit zeit seines Lebens über den Unterschied zwischen den Geschlechtern verwirrt sein könnte. Immerhin wurde im Verlauf des Sorgerechtsprozesses aktenkundig, daß der Steppke im Beisein April Wades das Wort „da-da“ benutzte.

Christlich-fundamentalistische Organisationen sangen nach der Urteilsverkündung Parsons' ein fröhliches „Hallelujah“, schien die heile Welt von „Vater-Mutter-Kind“ doch zumindest im Gerichtssaal wieder hergestellt. Dabei unterschlagen sie allerdings tunlichst, daß „Daddy-Daddy plus Kids“ oder „Mommie-Mommie plus Kids“ als neue Version des amerikanischen Familienlebens immer häufiger auftaucht. Zugegeben: All das nützt weder Sharon Bottoms noch ihrem Sohn oder ihrer Freundin. Bleibt die Hoffnung auf die aufklärende Kraft des Workshops. Im US-Bundesstaat Nevada mußten unlängst alle Richter ein Seminar über Gewalt gegen Frauen belegen. In Virginia könnte man Buford Parsons und seinen Kollegen einiges über die Wandlungen der Familie im 20. Jahrhundert verordnen. Mit Rollenspiel.

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