: Es lebe der WM-Zentrismus!
■ Ganz ohne Esoterik-Kitsch: Khyentse Norbus Fußball-Endspiel The Cup - Spiel der Götter hat heute Anpfiff, ist der erste Film aus Bhutan und hinreißend komisch
Eine Schülerkomödie. Und kein Sex. Auch keine Mädchen. Wir sind in einem Kloster. In Bhutan. Am Fuß des Himalajas. Was haben die Jungmönche im Kopf? Den Unsinn, den alle machen, wenn von höheren Dingen die Rede ist. Aber eins erscheint allen, Kindern wie Lehrern sinnvoll: sich einen Fernseher zu beschaffen und das Endspiel der Fußball-WM zu sehen. Frankreich gegen Brasilien. Auch der Abt, der Gütige, stimmt zu. Nachdem er sich vergewissert hat, worums beim Spiel geht: no sex.
Der Film ist herzerfrischend, humorvoll und spannungsgeladen. Werden die Schüler es schaffen, in diesem armen Land das Geld für die TV-Miete zusammenzubekommen? Wird die Satellitenschüssel rechtzeitig vor dem Anpfiff auf dem Klosterdach montiert sein? Dass das Kloster sehr schön und malerisch gelegen ist, tritt mediengemäß in den Hintergrund. In den Halbtotalen und Naheinstellungen erleben wir tausend treffende Beobachtungen. Denn der Autor (Drehbuch und Regie), Khyentse Norbu, 35 Jahre, war selbst Lama an dem von Tibet nach Bhutan exilierten Kloster gewesen.
Wir sehen einen Spielfilm aus Bhutan. Den ersten, der dort gedreht wurde. Und den ersten, den Norbu gedreht hat. Damit gehen wir der eurozentristischen Perspektive verlustig, die besagt, dass wir im tibetanischen Kloster völlig vergeistigte Esoteriker herumschweben sehen. Stattdessen übernehmen wir die Perspektive der Klosterschüler - und Lehrer. Und die ist WM-zentristisch. Das ist hart für die einen. Und Einladung zur weltweiten Kommunikation für die anderen. Verständigungsprobleme bei der Fußballübertragung? Na, bitte.
Wir sind uns einig, dass die Identität als Fußballfan andere Identitäten nicht ausschließt. Je mehr, desto besser. Wider die Tyrannei des Ego! – Zum Schluss des Films kommt dann doch eine kleine Lama-Lecture in den Dialog. „Erlöse mich vom Dämon Ich!“ Ist das das Ende? Iwo. Regisseur Norbu spielt mit unserer Erwartung. „Wozu Enden? Wozu ein Filmende?“ – Ja, wozu eigentlich? Warum sollte das Schlusswort nicht der Anfang sein? Und vielleicht würden sich unsere Euro- und Mainstreamfilme nicht so schnell erledigen, wenn sie eben nicht aufs Ende konzipiert worden wären.
Also, von meinen diversen Identitäten hat das Spiel der Götter auch mein Filmkritiker-Ich angesprochen. Der Anfangsfilm aus Bhutan stellt die Film-Enden im Abendland in Frage. So ganz nebenbei. Und es geht nach wie vor um das wahre Leben der Menschen am Himalaja, Laien, gleichzeitig einfach und profund dargestellt. Klostermönche und Schauspielerlaien. – Mit der dokumentierenden Spielfilmtechnik folgt Norbu seinem Lieblingsregisseur Satayit Ray. Dass er als Regisseur-Laie das Geld für seinen Film zusammenbekam, das war das Glück, das mancher Profi nicht hat. Genauer gesagt handelt es sich dabei um den britischen Produzenten Jeremy Thomas, den er bei den Dreharbeiten für Bernardo Bertoluccis Film begeistert hatte. Norbu hatte mitgearbeitet. Filmtitel: Little Buddha.
Dietrich Kuhlbrodt
ab heute, siehe Filmübersicht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen