Es ist wieder Karneval: Lass mal da rein!
Der Kneipenkarneval in Köln ist längst nicht mehr das, was er einmal war. Das liegt am Touristenansturm und dem Bierernst beim Karnevalgedöns.
Tanzen, singen, taumeln, auf einem weichen Burger einschlafen und auf die Straße pissen. Es ist wieder Karneval, falls Sie es nicht mitbekommen haben. Größer und voller als vorher. Unsere Karnevals-Stammkneipe in Köln hat jetzt einen zusätzlichen Raum und etwas Frischluft, man kann hier mittlerweile sogar essen, wer noch kann (Halven Hahn, Frikadellchen).
Die beschauliche Location in einer beschaulichen Nebenstraße – viel Holzmobiliar, viel staubige Gutbürgerlichkeit, Musikauswahl dafür überdurchschnittlich – ist schulterzuckend zum Massenmagneten avanciert. Diese Stadt kann den Touristenansturm an Karneval nicht mehr schlucken, sie steht da wie Venedig vor so einem Kreuzfahrtschiff, und die Massen landen in jedem Winkel („da ist Musik, lass mal da rein“).
Irgendwann war der Eintritt in Kneipen zu dieser besonderen Karnevalszeit tatsächlich kostenlos, damals vor dem Krieg oder vor fünf Jahren; heute muss man für einen fußbreit Platz mit Klub-Eintrittspreisen rechnen, und Klo kostet natürlich auch, jedes Mal. Es sei denn, man pisst, wie oben erwähnt, auf die Straße.
Es gibt außerdem Drängelgitter, und um reinzukommen, stehen wir jetzt an; für Tanzen, mit Bewegen und so, muss man lieber am 11. 11. kommen, also dann, wenn er auf einen Wochentag fällt und kaum Touristen da sind. Immerhin, es gibt geöffnete Fenster und Fluchtpläne heute, früher war also nicht alles besser, der Sauerstoff sicher nicht. Viele, gerade Studenten, pilgern jedes Jahr hierher zurück wie ausgebüchste Köter, nur ein paar Nächte zurück zu Herrchen. Schon lange fällt mir auf, dass wir dieses Karnevalsgedöns ernster nehmen als die anderen, die richtigen, daheimgebliebenen Kölner. Die, die nie in die Welt gezogen sind. Es ist so eine Art Erdoğan-Syndrom.
Nicht verwunderlich, dass der türkische Autokrat unter wählenden Deutschtürken mehr Zustimmung bekommt als in der Heimat. Neben zehntausend klugen demografischen Gründen, die es dafür gibt, entwickeln Ausgewanderte ebendiesen sehnsüchtigen Patriotismus, diese mentale Trachten-Ding, halbblind. Sie erleben Heimat, oder das, was sie dafür halten, ja nur aus der Ferne. Wie es von nahem aussieht, wollen sie auch gar nicht so genau wissen.
Unter Exilkölnern gibt es viele Karnevals-Erdoğanisten. Sie schreiben in den Medien Elogen auf die Heimat und die kölsche Kultur, höchstens nur ein kleines bisschen ironisch. Sie planen spätestens ab Oktober das Kostüm für die Session; den Daheimgebliebenen fällt am Vorabend ein, was morgen für ein Datum ist, und sie holen das Kostüm vom letzten Jahr aus dem Keller, so wie im vorletzten Jahr. Mundart-Bands füllen in Berlin tatsächlich große Säle, das Publikum ist jung und hip.
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