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■ Es gibt viele Gründe, die Bündnisgrünen zu wählen. Ihre Außenpolitik zählt allerdings nicht mehr dazuMit der Nato nach Osten

Die deutsche Außenpolitik „normalisiert“ sich. Kaum einer meckert noch. Auch die grüne Bundestagsfraktion wird „normal“. Mancher dort senkt lieber den Spitzensteuersatz für Großverdiener als die Anzahl von Atomraketen. Eine bemerkenswerte Priorität für eine Fraktion, die ohne die Friedensbewegung nicht existent wäre. Hätten die Grünen bei der Nato-„Nachrüstung“ dieselben Argumente benutzt, die die Fraktion nun für die Nato-Ost-Erweiterung anführt, die Partei wäre nie entstanden: kein Thema, zu spät, gestalten statt verhindern, Reputierlichkeit statt Neinsagerei, Koalitionsfähigkeit, von den hohen Zielen runterkommen, Bekenntnis zum westlichen Bündnis. Die Kritik an der Außenpolitik hält sich an den Rahmen, in dem auch Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt diskutieren. Dies sei die Konsequenz der Umbrüche von 89, die Welt habe sich geändert (außer den Russen), dem müßte grüne Politik Rechnung tragen. Richtig, sie muß sich weiterentwickeln. Aber muß sie völlig die Richtung ändern, das Paradigma wechseln? Von aktiver Friedenspolitik zurück zum konservativen Neo- Realismus?

Die „realistische“ Schule der Außenpolitik sah die Welt als anarchische Struktur konkurrierender Staaten, versprach Sicherheit und kümmerte sich wenig um Wohlfahrt und Demokratie. Sie prognostizierte, daß alle internationalen politischen Beziehungen letztlich potentielle Gewaltbeziehungen seien, die auf Krieg als die entscheidende Form der internationalen Auseinandersetzung hinausliefen. Nur militärische Eindämmung und Abschreckung könnten seinen Ausbruch verhindern. Die Folge war der atomare Rüstungswettlauf, den zu stoppen grüner Gründungszweck war. Gegen den „Realismus“ entstanden die Integrationsansätze, für die wirtschaftliche Wohlfahrt und politische Partizipation mindestens so wichtig waren wie Sicherheit. Sie meinten sogar, daß Kooperation die Chance zum Abbau militärischer Mittel böte. Sie setzten statt auf militärische Strategien auf die Institutionalisierung von Regimes, die auf freiwilliger, aber verbindlicher Basis die Zusammenarbeit regeln. Daraus entwickelte sich die friedenspolitische Schule, die es nicht beim Aufweis von Kooperationschancen beließ, sondern aus ihnen eine Norm ableitete. Friede ist hier nicht nur Ziel von Außenpolitik – dieses Ziel formulieren auch die meisten „Realisten“ –, sondern erfordert bei der Mittelwahl das aktive Zurückdrängen militärischer Strukturen. Denn wenn über das Ziel Einigkeit besteht, verlagert sich die Diskussion auf die Spezifika des Weges. Zudem wurde der Friedensbegriff ausdifferenziert. Negativer Frieden bestimmte sich als passiver Zustand der Abwesenheit von Krieg, positiver als aktiver Prozeß, der Wohlfahrt und Partizipationschancen verteilt. Dieser Ansatz war Grundlage grüner Außenpolitik. Ihn hat die Realo-Mehrheit in der Fraktion nun aufgegeben.

Der alte „Realismus“ wurde durch den „Neo-Realismus“ abgelöst. Dieser enthält zwar integrative Elemente, subsumiert sie aber unter die Dominanz militärstrategischen Sicherheitsdenkens. Kooperation und Integration vollziehen sich nur auf der Folie militärischer Bündnisbildungen. Genau diesem Konzept folgt die Nato-Erweiterung. Die Fraktion behauptet, die Nato habe sich gewandelt. Kann sein, besser wird sie dadurch nicht. Sie mag sich noch so sehr als Wohlfahrtsverband, Kulturverein, Serviceunternehmen und politischer Debattenclub verkaufen, sie ist und bleibt ein militärisches Verteidigungsbündnis, das an der Option des atomaren Erstschlages festhält.

Mit der OSZE steht eine Organisation bereit, die die zivilen Aufgaben besser erfüllen könnte, wenn man sie ließe. Das Wesen der Nato ist und bleibt die amerikanische Nukleargarantie für Westeuropa, egal ob dieses bis zur Elbe oder zum Bug reicht. Vorgestellter Gegner war und ist Moskau. Nun haben Clinton und Jelzin geredet. Wenn aber START III und eine russische Mitgliedschaft bei G7 denkbar sind, warum dann nicht ohne Nato-Erweiterung? So manch grüner Jasager, der inbrünstig an die historische Stunde von 89 erinnert, fordert nun – als hätte er selbst das Datum nicht begriffen – in konservativer Manier die Machtprojektion der Nato, um Moskau weiterhin einzudämmen. Die Emanzipation Mitteleuropas, gedacht als Auftakt für die gesamteuropäische Integration, wird zum Instrument zur Stärkung des Westens gegen den Osten. So wird die friedenspolitisch-integrative Perspektive verspielt. Realo-Politik als Rückfall in „Realpolitik“ und Denunzierung der Kritik als antiwestlicher Dogmatismus. Im Namen von Pragmatismus und Koalitionsfähigkeit verkünden Realos, Theorien hätten ausgespielt, Außenpolitik müsse fallweise entschieden werden. Politik für die betroffenen Menschen wolle man machen, nicht für Politologen. Menschen, das sind Polen, Tschechen, Ungarn. Daß die ungarischen Grünen wie die gesamte Föderation grüner Parteien in Europa oder neutrale Staaten vor der Nato-Erweiterung warnen, wird verschwiegen. Auch die russischen Bürgerrechtler, die dagegen sind, weil sie den militärisch-industriellen Komplex in Rußland stärkt, sind offenbar keine Betroffenen im Sinne der neo-grünen Betroffenheitsbestimmungen.

„Nein“ sagen, wo die Russen sich doch fügen, finden Realos dogmatisch. Doch das „Nein“ ist eine Chiffre für eigenen außenpolitischen Willen. Denn darum geht es: Darf Rot-Grün mit einer eigenen Position in die internationale Strategiebildung eingreifen oder heißt Realpolitik Anpassung an Washington und Paris. Die SPD hat Verheugen wegen zuviel Selbstbewußtsein abgestraft. Doch international Verantwortung zu übernehmen heißt auch, mit eigenen friedenspolitischen Vorschlägen aufzutreten.

Die Fraktion mag der Fiktion glauben, die Nato könne auch Moskau integrieren, mag Rüstungskontrolle und die Erweiterung der EU einfordern, im Prinzip akzeptiert sie ein nukleargestütztes Militärbündnis als Folie für die mitteleuropäische Integration. Wie hätte Petra Kelly, die 1983 öffentlich für die Fraktion gelobte, die Grünen würden die Friedensbewegung nie verraten, diese Wende kommentiert? Vergleichbar etwa wäre ein grüner Verzicht auf Ökosteuern oder das Asylrecht. Es gibt noch viele gute Gründe, grün zu wählen; die Außenpolitik der Fraktion ist keiner. Sollte es 1998 zu Koalitionsverhandlungen kommen, dann säßen drei Parteien am Tisch: die SPD, die Grünen und die Realos. Ludger Volmer

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