Es gibt ganz neue Denkgefühle

■ Techno wird Alltagskultur: Chromapark als Oster-Marathon rund ums E-Werk

Obgleich viele Technopioniere ihre „Bewegung“ längst für tot und erledigt erklären, tanzen die anderen einfach weiter. Ob es „sechs Millionen“ sind, ob ihre Kaufkraft nun tatsächlich bei „fast 5 Milliarden Mark“ liegt, wie die Betreiber des E-Werks potentiellen Sponsoren verkünden; oder ob Techno „spätestens seit dem Zeitpunkt, als auch Banken im TV mit Techno geworben haben“ „der revolutionäre Beitrag einer Jugend zur Alltagskultur geworden ist“ (Flyer), sei dahingestellt. Inzwischen bemüht man sich jedenfalls an allen Ecken und Enden fast servil darum, der Welt einverständig zu zeigen, daß Techno nicht nur aus Musik, Dauertanzen, Drogennehmen und Rumlächeln besteht. Denn das ist verwerflich, weil keine Bedeutung danebensteht, und nicht „kulturvoll“, wie wir Ostler so sagen. Doch „Techno ist Design, ist Literatur, ist Kino, ist Fotografie“ (Flyer), und deshalb präsentiert der Chromapark zum vierten Mal Technokunst.

Vier Tage lang bleibt das E- Werk durchgehend geöffnet; vor oder nach recht vielversprechend klingenden Technopartys – von 10 bis 22 Uhr – kann man Kunst gucken. Sechs weitere „locations“ sind ebenfalls beteiligt, u.a. der Tresor, das WMF, die Aktionsgalerie; und in der Infobox am Potsdamer Platz gestaltet eine Berliner Architektengruppe „als Highlight Projektionen zur Zukunft des E-Werks. Ihre Idee der Öffnung des Gebäudes, der Transformation der Masse und Energie in Emotionen und Träume wird über Ostern live per Videokonferenz ins E-Werk übertragen“. Und vice versa.

Prima und schön, wenn sich die verschiedenen Szenen dann vermischen, der Kunstfreund mal das Tanzbein schwingt und abgekämpfte Raver beim Kunstgucken chillouten. 500.000 Mark hat's gekostet; schade, daß der technobegeisterte Dichter Rainald Goetz, der von seinen Raver-Erfahrungen erzählen wollte, dann doch nicht dabei war. 3.000 Mark habe er haben wollen, so ein netter E-Werker, und das sei doch zuviel. Die anderen, so eine beteiligte Künstlerin, hätten gar nichts bekommen.

Das diesjährige Motto lautet „Projektionen zur Natur der Zukunft“. Eine philosophische Abhandlung zu dem Titel aus dem Merve-Verlag wäre vermutlich recht interessant gewesen. Statt dessen fliegen allerlei Sätze aus dem verdienten Berliner Avantgardeverlag – über atomisierte Bewußtseins- und Weltordnungsverwirrungen – auf Bildschirmen vorbei, die über der Tanzfläche hängen. Sicher nicht besonders neu, doch es funktioniert ziemlich gut; wenn man beim Tanzen ab und an mal auf die Bildschirme schaut, gibt es sogar ganz neue Denkgefühle. Blöderweise nur werden die Bildschirme nachts abgeschaltet. Auch die Rauminstallation „die kannibalistische Ordnung“ von Petra Dahmen wird geschlossen, wenn die wilden Raver kommen. Die Künstlerin setzt der „euklidischen Geometrie“ diverser einsamer Stadtmittefotos fraktale Formen in warmen Acrylfarben entgegen, die auf Plexiglasscheiben von der Decke hängen.

Zur Eröffnungsparty war der Techno zu laut, um zu sehen, ob's ihrem Text entspricht, in dem es um die „Einsamkeit des atomisierten Individuums“ geht, das sich nur noch in ekstatischen Momenten zeigen könne und sich ansonsten getarnt seiner Umgebung anpasse. Für Petra Dahmen ist Technotanzen überlebensstrategische „Simulation der Selbstbefreiung“. Das klingt ganz gut. Der Rest der Ausstellung besteht aus vielen Computern für Internetaktivitäten, sauberem Werbedesign, Dekorationen, die schön wären, wenn nicht Kunst drunterstände, Camel-Logos usw. Die tollen E-Werk-Katakomben lohnen sich trotzdem. Detlef Kuhlbrodt

Chromapark, bis Montag früh durchgehend im E-Werk