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Es gibt doch noch einen Gott

Nach dem Erreichen des Uefa-Pokalfinales baden die Spieler von Schalke 04 selig singend in Sekt – derweil die Worte von Kapitän Olaf Thon perlen  ■ Von Philipp Selldorf

Gelsenkirchen (taz) – Auf dem Treppenabsatz der Haupttribüne wird der Mann mit dem unförmigen blauweißen Deckel auf dem Kopf von religiöser Gewißheit ergriffen. „Es gibt doch noch einen Fußballgott“, stammelt der unbekannte Fan entrückt und schaut auf jenen Rasen, wo sich an diesem Abend angeblich der Sonderbeauftragte des Allmächtigen offenbart hat. Wie der selige Anhänger („und ich darf dabeisein“) verharren immer noch Tausende im Gelsenkirchener Parkstadion, obwohl der famose Sandor Puhl (Ungarn) die Partie schon vor einer halben Stunde beendet hat, die Spieler von Schalke 04 längst in ihrer Kabine im Sekt baden und klassische deutsche Fußball-Lieder singen.

Nach 120 Minuten harter und nervenzehrender Arbeit, die das 2:0 gegen den Club Deportivo Teneriffa und das Erreichen des Uefa-Cup-Finales gegen Inter Mailand einbrachten, hat Schalke04 wieder mal das Gefühl, „das Unmögliche wahrgemacht zu haben“, wie Mittelfeldspieler Andreas Müller meint. Inzwischen schaut der Klub auf eine ganze Reihe wundersamer Europacup- Erlebnisse zurück.

Unter manchmal widrigen (wie am Dienstag bei der Aufholjagd ohne Stürmer), manchmal verrückten (Brügge, Trabzon) und meistens dramatischen Umständen hat die Mannschaft der Vereinschronik ein neues Kapitel hinzugefügt. Ein Endspiel in einem europäischen Wettbewerb hat Schalke bisher noch nicht erreicht. Selbst ein kühler Mann wie Torwart Jens Lehmann schilderte daraufhin bewegt und begeistert seine Gefühle und sprach vom „schönsten Tag in der Karriere“.

Kapitän Olaf Thon (30), in großen Erfolgen geübter, fand in der Stunde des Triumphs zum Großmut. Thon erinnerte sich der Geschlagenen und Mutlosen. Dem ewig verletzten Matthias Sammer (29) von den eigentlich feindlichen Borussen sprach er Mut zu: „Er ist noch jung, er kommt wieder.“ Dem auch von der Mannschaft entlassenen Trainer Jörg Berger versicherte er in würdevoller Art den Dank der Mitspieler, und dem besiegten Trainer Josef Heynckes überbrachte er in dessen Kabine Gesten der Anteilnahme. Heynckes reagierte angemessen und bestätigte ihm die Richtigkeit des Resultats. „Das zeigt“, sprach Thon gewohnt staatsmännisch, „daß er ein fairer Verlierer ist.“

Für manche Reporter blieb Teneriffas Trainer gleichwohl ein Phantom. Nachdem er sich in Teneriffa geweigert hatte, Deutsch zu sprechen, erschien Heynckes diesmal nicht zur gemeinsamen Pressekonferenz – er beharrte auf getrennten Stellungnahmen.

Gründe für den sportlichen Erfolg Schalkes: „Geduld, Willen und Charakter.“ Der arbeitsame Taktiker Huub Stevens, der gestern ausnahmsweise das Training erst um 16 Uhr ansetzte, hatte seinem Team gegen die sturmstarken Spanier zunächst die Sicherung des eigenen Strafraums verordnet. Deshalb blieb Schalke auch im fünften Uefa-Cup-Heimspiel ohne Gegentreffer. „Wir wußten, das ist der Schlüssel“, sagte Mittelfeldmann Müller, „und wir haben uns gesagt, das Tor, das wir brauchen, kann auch in der 80. oder 85. Minute fallen.“ So lange mußten sie nicht warten: Manndecker Thomas Linke vollendete schon nach 68 Minuten eines von zehn Kopfballtoren unter den 17 Treffern, die Schalke im Uefa-Cup schoß.

Rudi Assauer erinnerte sich ungeachtet des Schalker Freudentaumels um sich herum an einen Tag seiner Amtszeit, der ihn noch glücklicher machte: „Als Schalke 93/94 vom DFB die Lizenz erhielt.“ Darüber muß er sich jetzt keine Sorgen mehr machen. Die solidarische Aufteilung der Einnahmen, die die gesamte Bundesliga an Schalkes Siegeszug teilhaben läßt, steht grenzenlosem Reichtum zwar entgegen, aber einige Millionen bleiben schon übrig. Nicht zuletzt, weil die Mannschaft sich bescheiden gibt. „Unsere Prämienregelung“, behielt Olaf Thon Übersicht, „ist einfacher als die Steuerreform.“

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