: „Es geht darum, dass das Herzberührtwird“
Ulf Werner ist Pastor in der Hamburger Kirche der Stille und Trompeter bei der Ska-Punk-Band Rantanplan. Zwei Welten, die für ihn problemlos zusammengehen, weil die linksalternative Szene im Prinzip wie die evangelische Kirche funktioniere
Interview Ilka Kreutzträger Fotos Miguel Ferraz Araujo
taz: Herr Werner, wie halten Sie es mit Gegensätzen?
Jan Werner: Ich versuche, sie zu feiern. Gegensätze sind Teil von jedem Menschen, und das ist es auch, was ich an den Kernsätzen von Martin Luther so gut finde. Er sagt ja: Simul iustus et peccator, also: wir sind immer Sünder und Heiliger zugleich, wir haben Licht und Schatten in uns. Ich finde, das ist eine befreiende Message.
taz: Sie hätten auch antworten können: Ich spiele in einer Ska-Punk-Band und bin Pastor in der Kirche der Stille.
Werner: Das habe ich nie als einen Gegensatz wahrgenommen. Die Punkwelt schließt sich nicht mit der Kirchenwelt aus.
taz: Nicht?
Im Gegenteil. Wenn man in der linksalternativen Szene unterwegs ist, ist ja vieles sehr auf ein demokratisches Miteinander ausgelegt, darauf, dass man auf Augenhöhe miteinander agiert und Sachen im Plenum bespricht. Und das entspricht voll den Strukturen der evangelischen Kirche.
taz: Da gehen sicher viele aus der alternativ-linken Szene nicht mit.
Werner: Klar werden mir Menschen da widersprechen. Vielleicht wird es deutlich, wenn man an die starke Rolle der Kirche für die Demokratie in Ostdeutschland denkt. Es gab damals Synoden und Plena und daran konnte gelernt werden. Deswegen sind Kirche und linksalternative Szene für mich nicht so krasse Gegensätze. Und Musik war für mich schon immer das Vehikel, um in die Ewigkeit abzuheben und um mich schwingungsfähig zu fühlen.
taz: Sie haben mit 16 Jahren angefangen, in einer Band zu spielen. Da haben Sie wahrscheinlich nicht gedacht: ach, ich will mich mit meiner Schwingung in Einklang bringen. Der Antrieb wird ein anderer gewesen sein.
Werner: Genau, ich war sehr wütend damals.
taz: Teenager-wütend oder war das eine andere Wut?
Werner: Auch auf Gesellschaftliches, darauf, wie wir miteinander umgehen, und es hatte auch einen familiären Hintergrund. Ich war mit 16 schon weg von zu Hause und für mich war Punk ein Ventil, um die Wut rauszulassen.
taz: Warum waren Sie mit 16 schon von zu Hause ausgezogen?
Werner: Das hatte auch praktische Gründe. Ich habe mich mit dem Lehrkörper nicht gut verstanden und mir wurde nahegelegt, dass ich an der Schule keine Zukunft haben werde. Ich kam auf eine evangelische Internatsschule am Bodensee. Das war ein anderes Erwachsenwerden als im Elternkontext. Wir waren halt 20 Jungs und da gab es andere Regeln.
taz: Das Gesetz des Stärkeren?
Werner: Ja, genau. Der Neue musste erst mal dienen, zum Beispiel für die anderen beim Essen Nachschlag holen. Ich hatte Glück und wusste, wie man sich behauptet, und später war es nicht mehr so krass. Aber ein Internat ist anders als eine normale Familienstruktur. Im Internat habe ich dann angefangen, Bands wie Slime zu hören und Sepultura und was da gerade angesagt war. Und ich habe gemerkt, dass ich da alles rauslassen kann. Es war ein Ausweg.
taz: Wie hieß Ihre erste Band?
Werner: P – A – M.
taz:?
Werner: Paar aufs Maul. Ich glaube, wir hatten allerhöchstens einen Auftritt. Es war eher: Jetzt machen wir eine Band und jetzt habe ich auch einen Nietengürtel! Erst später habe ich gemerkt, dass in der Musik irgendwas ist, was mir hilft, mich zu verbinden.
taz: War Ihr Elternhaus religiös? Oder wieso das evangelische Internat?
Werner: Meine Eltern sind beide Geflüchtete. Die Familie meines Vaters ist aus Novi Sad vertrieben worden. Er ist irgendwo in Ungarn in so einem Kuhstall geboren worden, kam nach Wien in Quarantäne und ist dann weiter nach Süddeutschland, nach Stuttgart-Roth. Das war so ein Auffangort für alle, die da aus der Ecke kamen. Die U-Bahn, die da in die Stadt gefahren ist, wurde Paprika-Bomber genannt, weil alle die, die dort lebten, angeblich Paprikawürste gegessen haben. Mein Vater mochte sie auch, das stimmt. Und meine Mutter war Schlesien-Geflüchtete. Sie haben beide studiert.
taz: Kirche spielte aber zu Hause keine Rolle?
Werner: Mein Vater war sehr links und sehr kirchenkritisch. Er war auch sehr lange stellvertretender Bürgermeister in Waldenbuch. Er war in der SPD, als die für seine Verhältnisse noch richtig sozialdemokratisch war, und hat Menschen, die kein Geld hatten, einfach so behandelt.
taz: Gelebte Nächstenliebe ohne Kirchenanschluss?
Werner: Er hat schon die Nähe zur Kirche vor Ort gesucht und ist irgendwann sogar eingetreten. Er hat den Pfarrer als Gesprächspartner geschätzt, ihn aber auch gesucht, um mit ihm zu streiten.
taz: Und Ihre Mutter?
Werner: Meine Mutter ist ursprünglich katholisch, ist aber in die evangelische Kirche eingetreten, als wir uns in Waldenbuch niedergelassen hatten. Das ist ja in Süddeutschland immer noch so: Der eine Ort ist super protestantisch, dann der nächste super katholisch. Es war von meiner Mutter also auch ein Bekenntnis zu dem Ort.
taz: Nach dem Abschluss auf dem evangelischen Internat haben Sie sich für ein Theologiestudium entschieden. Wieso?
Werner: Ich wollte herausfinden, was das ist, dieses Gefühl, das man bei der Musik manchmal hat, wenn der Funke überspringt.
taz: Wann passiert das?
Werner: Als Jungpunker bin ich viel auf Konzerte gegangen und manchmal ist es auf einmal passiert. Alle hatten einen Moment, in dem sie zusammen abgehoben sind. Es war für mich immer klar: Das ist was Spirituelles. Und ich habe mich immer gefragt, wie ich dem Ganzen nachspüren kann. Die Antwort war: Theologie.
taz: Sie nennen diese Momente Gottesmomente.
Werner: Ich hab die irgendwann so getauft. In Gottesmomenten habe ich das Gefühl, mit der Band in der Musik zu verschwinden. Menschen, die sich vorher nicht gekannt haben, fühlen sich auf dem Konzert so miteinander verbunden, dass sie teilweise Arm in Arm weggehen. Es ist ein Moment, in dem es einfach egal ist, wie viel du verdienst, wie du aussiehst. Es war ein Verbundenheitsgefühl, das ich manchmal auch an anderen Orten verspürt habe. In der Natur oder als ich in Hamburg als Barkeeper gearbeitet habe, da hatte ich manchmal so tolle Gespräche am Tresen, wo wir so tief getaucht sind, dass mich das berührt hat. Es geht darum, dass das Herz berührt wird und dass da was in Schwingung kommt.
taz: Das Theologiestudium am Evangelischen Stift Tübingen, das als Kaderschmiede gilt, haben Sie dann aber als beklemmend empfunden. Was war das Problem?
Werner: Ich hatte diese Fantasie, dass ich jetzt diesem Gefühl nachjagen kann. Und dann habe ich in Tübingen angefangen und erstmal kamen die Sprachen – Hebräisch, Altgriechisch, Latein. Ich war überhaupt nicht gut in Sprachen und ich hatte krasse Prüfungsangst, schon immer. Wenn man dann nicht gut war, wurde einem auch suggeriert, dass man der Lappen ist. Das fand ich scheiße. Ich habe gedacht, es geht doch eigentlich darum, mit etwas in Verbindung zu kommen. Und habe mich gefragt: Wie will das mit diesem System funktionieren?
taz: Sie haben im Theologiestudium also nichts Spirituelles gefunden?
Werner: Einmal habe ich kurz related. Da habe ich einen Theologen aus der Romantik entdeckt, Friedrich Schleiermacher. Und der hat gesagt: Musik hat die Kraft, an Orte zu gelangen, wo Worte gar nicht hinkommen. Damit konnte ich was anfangen, weil du mit Musik ganz anders Trauer oder was auch immer ausdrücken kannst, da stocken ja manchmal die Worte. Und der hat auch gesagt, Gott ist für ihn das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit.
taz: Damit meint Schleiermacher, dass Religion nichts Gelerntes oder Angenommenes ist, sondern ein Gefühl ist, eine Grundstimmung, die im Gemüt des Menschen durch Kommunikation entsteht.
Werner: Ja, damit konnte ich auch was anfangen. Da wurde mir klar, dass ich in Tübingen vielleicht doch nicht ganz so falsch war.
Der Mensch
Ulf Werner, geboren 1983, ist in Waldenbuch, einer Kleinstadt südlich von Stuttgart, aufgewachsen. Er hat Theologie studiert, ging nach Hamburg, jobbte dort als Barkeeper, auf einer Skatebahn, als Hilfsarbeiter am Hafen und kam 2009 als Trompeter zur Hamburger Ska-Punk-Band Rantanplan. Heute lebt er mit seiner Familie in Hamburg, ist Mediator, hat gerade seine Ausbildung zum Sexual- und Körpertherapeuten abgeschlossen, arbeitet als Pastor in der Kirche der Stille in Hamburg-Altona und ist für die Nordkirche auch überregional für den Bereich Spiritualität zuständig.
Die Band
Die deutschsprachige Hamburger Band Rantanplan ist 1995 als Ableger der Hamburger Punklegende ...But Alive gestartet und heißt wie der Hund von Lucky Luke. Zu Ska und Punk wird Rock, Reggae, Country und Disco gemischt; bis heute gilt Rantanplan als unverkopfte Party-Live-Band.
Die Kirche der Stille
Erfinderin ist Pastorin Irmgard Nauck, die mit zwei anderen Pastoren aus Kirchen in der Gemeinde im Hamburger Stadtteil Altona 2009 beschlossen hat, das kirchliche Angebot aufzuteilen: einer bietet politische Stadtteilarbeit, einer Kultur und einer Stille an. Aus der Christophoruskirche wurde die Kirche der Stille. Altar, Kanzel und Taufbecken wurden gegen Meditationskissen getauscht, die um das Oktogon in der Mitte verteilt sind. Anders als die meisten evangelischen Kirchen ist sie meistens geöffnet – für Einkehr in Stille.
taz: Aber Sie sind trotzdem vor dem Abschluss nach Hamburg abgehauen.
Werner: Ja, es ging nicht mehr, es war in Tübingen einfach alles zu eng. Ich bin nach Hamburg gegangen, nach St. Pauli, bin in eine WG gezogen, habe viel Musik gemacht, von Reggae bis Punk. Aber ich war in Hamburg auch weiter für Theologie eingeschrieben, habe sogar das Examen gewagt, bin durchgerasselt, und das war für mich ein Cut. Ich hatte eine schwere Sinnkrise mit depressiven Episoden.
taz: Wie sind Sie damit umgegangen?
Werner: Ich bin für eine kleine Weile nach Kassel gegangen, habe auf einem Bauernhof gearbeitet und mir einen Bauwagen geholt, an dem ich vergeblich gebastelt habe, habe Soziale Arbeit studiert, bin dann wieder nach Hamburg zurück und habe im sozialpsychiatrischen Bereich gearbeitet. Irgendwann habe ich das Theologie-Examen noch mal gewagt und sogar ganz gut bestanden.
taz: Wie sind Sie zur Hamburger Ska-Punk-Band Rantanplan gekommen?
Werner: Das war so ein Szeneding. Ich habe auch im Skateland gearbeitet, da haben wir Konzerte organisiert, und ich hatte eine Skate-Punk-Band, da kannte man sich eben. Als der Trompeter von Rantanplan krank wurde, bin ich gefragt worden, ob ich nicht einspringen könnte. Ich hatte nur ein paar Tage Zeit, habe wie wild geübt und bin echt sehr angespannt mit auf Tour gefahren. Das war so meine erste große Tour mit vielen verschiedenen Stationen über Österreich und so.
taz: Warum sind Sie bis heute in der Band?
Werner: Rantanplan war schon immer eine Band mit Haltung, das hält mich dabei. Wir haben oft auf den Demos von Robin Wood gespielt und auf Veranstaltungen gegen Rechts wie in Jameln oder gerade bei Laut gegen Nazis auf der Kieler Woche. Ich denke, mit der Band kann man in Würde altern.
taz: Jameln ist ein kleiner Ort in Mecklenburg-Vorpommern, in dem eine letzte Familie in dem ansonsten braunen Ort gegen Nazis kämpft und das Anti-Rechts-Festival „Forstrock“ organisiert.
Werner: Als wir da aufgetreten sind, war das noch superklein. Wenig später ist die Scheune der Familie abgebrannt und das Festival wurde richtig groß. Wir waren damals in der Unterzahl.
taz: Wie war das?
Das war krass. Wenn man hier in Hamburg eine Welle gegen Rechts macht, sind ja immer Tausende Leute um einen herum. Dort konnten wir die Gegendemo sehen, die hatten ein brennendes Kreuz dabei und es waberten so Vaterlandsgesänge rüber. Zwischen uns und den Nazis war nur ein Polizeiwagen. Als wir angefangen haben zu spielen, fuhr der so ganz langsam vom Hof. Ich dachte: Shit! Wir haben uns vor dem Auftritt noch Knüppel aus dem Wald geholt und hinter die Bühne gestellt, um uns verteidigen zu können. Das ist noch mal eine andere Liga, da auf diesem Hof umgeben von Rechten die Fahne hochzuhalten. Am meisten habe ich aber die Veranstalter des Festivals bewundert, denn wir waren am nächsten Tag schon wieder weg, in der sicheren Großstadt.
taz: Wie passt Ihr Punksein mit dem Pastorsein zusammen?
Werner: Viele aus der linken Szene finden, man muss Kirche kritisch sehen. Und es ist auch wichtig, kritisch auf Strukturen und Institutionen zu gucken. Aber ich finde es wichtiger, nicht nur in der linken Wohlfühlbubble aktiv zu sein. Wir haben Songs wie „Antifa Fanclub“ irgendwann nicht mehr gespielt, weil sowieso alle, die auf unseren Konzerten sind, das gleiche Mindset haben. Als Pastor komme ich aber mit ganz anderen Mindsets in Kontakt.
taz: Sie haben in Ratzeburg ihr Vikariat gemacht und dann in Husum ihre erste Gemeinde übernommen. Wie wurden Sie als Mann aus der Stadt dort aufgenommen?
Werner: Von den meisten wurde ich sehr offen empfangen. Aber für mich war das trotzdem erst mal so krass. Husum! Wenn du da von der Autobahn abfährst, fängst du an, so hart zu entschleunigen. Alles wird langsamer, der Himmel klappt sich auf. Ich habe auch Menschen kennengelernt, die toll waren. Nur die Leute, der über mir wohnten, waren etwas strange. Am Anfang haben sie meinen Müll durchsucht, um rauszufinden, was der Pastor wohl Brisantes macht. Als ich einmal mein Fahrrad in den Schuppen schieben wollte, habe ich den Mann dabei erwischt, wie er auf einer Trittleiter stand und versuchte, durchs Fenster in mein Schlafzimmer zu gucken. Da dachte ich: Alter!
taz: Seit Januar sind Sie Pastor in der Kirche der Stille in Hamburg-Altona. Wenn man sich den Veranstaltungskalender anguckt, dann klingt das gar nicht nach Kirche, es gibt zum Beispiel Zen-Meditation und „Achtsam in die Woche tanzen“. Wieso ist das so?
Werner: Diese Kirche ist aus einer spirituellen Suchbewegung von Pastorin Irmgard Nauck entstanden. Sie wollte die Kirche zu einem Ort machen, wo interreligiöser Dialog möglich ist und an den auch Menschen kommen, die mit Kirche gar nichts mehr am Hut haben. Sie haben die Kirchenbänke und den Altar rausgeholt und alles nach Feng Shui gestylt darin, damit alles gut fließt. All das hat mich angesprochen, deswegen habe ich mich sehr gefreut, als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, hier als Pastor mit reinzugehen.
taz: Wie kommen Sie mit ihrer Rolle als Pastor zurecht?
Werner: Ich habe da bis heute meine Reibungspunkte mit, weil ich es eigentlich nicht möchte, dass es überhaupt Rollen gibt. Wir sollten uns als Menschen begegnen.
taz: Kann eine solche Rolle nicht auch helfen? Etwa bei Beerdigungen?
Werner: Es hilft schon, ja. Selbst die Kleidung hat eine gewisse Funktion und hilft, so ein Ritual gut abzuschließen. Ich esse nach Beerdigungen immer irgendwas Gutes, um wieder im Leben anzukommen. Ein Bonbon oder so. Und ich merke, dass ich in den zwei bis drei Stunden nach einer Beerdigung viel bewusster lebe, weil ich mich damit auseinandersetze, dass es auch schnell vorbei sein kann.
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