: Erzwungen seßhaft
Um ihre Verteilung zu steuern, wird Aussiedlern beim Ortswechsel die Stütze entzogen ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Aussiedlern, die ihren Wohnort frei wählen, droht künftig in Niedersachsen der Entzug der Sozialhilfe und der Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Das niedersächsische Innenministerium bereitet gegenwärtig eine „Spätaussiedler-Zuweisungsverordnung“ vor, die zusammen mit einem neuen Bundesgesetz über die Festlegung der vorläufigen Wohnorte für Spätaussiedler in Kraft treten soll. Mit der Verordnung will der niedersächsische Innenminister „eine quotenmäßige Verteilung der Spätaussiedler auf die niedersächsischen Kommunen erreichen“, wie sie bisher bei Flüchtlingen Praxis ist. Da die Spätaussiedler als deutsche Staatsangehörige prinzipiell Freizügigkeit genießen, will die Verordnung den Aussiedlern per Entzug von Sozialleistungen den Wohnsitz aufzwingen. Spätaussiedler, die in eine andere als die vom Bundesverwaltungsamt zugewiesene Gemeinde ziehen, sollen an Sozialhilfe nur noch den nicht aufschiebbaren Notbedarf erhalten. Dieser Notbedarf bestünde in der Regel aus der Verpflegung für einen Tag und einer Fahrkarte zur Reise in den zugewiesenen Wohnort, erläuterte ein Sprecher des Innenministeriums gestern. Aussiedler, die die Zuweisungsentscheidung nicht akzeptierten, würden außerdem keine Eingliederungsleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz erhalten. Mit der Zuweisungsverordnung reagiert das Innenministerium auch auf die Anti-Aussiedler-Stimmung in jenen Landkreisen, in die die vor allem aus den GUS-Staaten stammenden Aussiedler bisher bevorzugt ziehen. So hatten etwa im Frühjahr sieben niedersächsische Landkreise und Städte in einer „Gifhorner Erklärung“ sich über einen „explosionsartigen Anstieg der Sozialhilfekosten“ und über soziale Probleme zwischen Aussiedlern und Alteingesessenen beschwert.
Das neue Bundesgesetz, das den Entzug der Sozialhilfe für Aussiedler möglich macht, ist nach einem Kompromiß zwischen SPD- und CDU-regierten Ländern am vergangenen Freitag vom Bundesrat verabschiedet worden. Ursprünglich hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der aber sowohl CDU- als auch SPD-regierten Ländern nicht weit genug ging. Vor allem Niedersachsen hatte auf Ermächtigungen für die Länder gedrängt, um „landesinterne Wanderbewegungen der Aussiedler besser steuern zu können“. Die Steuerung besteht in finanziellen Sanktionen gegen Aussiedler, die ihren Wohnort frei wählen wollen. Man geht davon aus, daß auch der Bundestag demnächst dem geänderten „Gesetz über die vorläufige Festlegung eines Wohnortes für Spätaussiedler“ zustimmen wird.
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