Erziehungsbuch in bestem Sinne: Sie tun, was wir tun

Eltern sind nicht dazu verdammt, weiterzugeben, was sie selbst erfahren haben: Philippa Perrys weiser Ratgeber für eine gute Eltern-Kind-Beziehung

Ein Kind schaut trotzig.

Zwischen Wutanfall und Heulkrampf liegt eine ganze Menge Schönheit Foto: Felice Douglas/plainpicture

Eigentlich ist man bei einem Buch mit dem vollmundigen Titel „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen“ (dem zur Absicherung der Kaufempfehlung dann noch der Untertitel „und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast“ hinzugefügt wurde) erst einmal skeptisch. Aber dann will man es – als Rezensent, aber natürlich auch als oft genug ratloser Elternteil – eben doch wissen.

Die britische Psychotherapeutin Philippa Perry hat unter diesem Titel kein „Erziehungsbuch im engeren Sinn“ mit Töpfchentraining und Abstilltipps geschrieben, sondern einen Ratgeber für eine gute Eltern-Kind-Beziehung.

Philippa Perry: „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen“. Aus dem Engl. von Karin Schuler, Ullstein, Berlin 2020, 304 Seiten, 19,99 Euro

Wenn man nicht so häufig Ratgeber liest – und seien wir ehrlich, als Eltern hat man für so was nun wirklich keine Zeit (als Rezensent, wenn man Glück hat, gerade so) –, muss man sich womöglich erst ein wenig an den Ton gewöhnen. Schon sehr bald entdeckt man aber, kurz nach dem ersten guten Witz, einen ersten wesentlichen Satz: „Kinder tun nicht, was wir sagen; sie tun, was wir tun.“

Dieser Satz bleibt aber keine hohle Phrase, sondern Perry nimmt ihn beim Wort. Deswegen fällt der erste Blick in der Eltern-Kind-Beziehung auch auf die eigene Seite, die der Eltern, und da auch die Eltern einmal Kinder waren, die taten, was deren Eltern taten, fällt der Blick zunächst auf die eigene Kindheit der Eltern. Und hier sind auch Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten, nicht davor gefeit, unbewusst das an ihre Kinder weiterzugeben, worunter sie selbst als Kinder ihrer Eltern gelitten haben.

Zahlreiche Fallstudien

Sie sind dazu aber zum Glück auch nicht verdammt. So berichtet Perry etwa neben zahlreichen Fallstudien aus ihrer Praxis gelegentlich auch von ihrer eigenen Kindheit, die sie nicht überwiegend als glücklich empfand. Das lag auch daran, dass ihre Eltern es nie zugaben oder sich entschuldigten, wenn sie Fehler gemacht hatten. Und so sehr Perry das auch gehasst hatte und es selbst später anders machen wollte, gelang ihr das gegenüber ihrer eigenen Tochter natürlich nicht immer.

Doch die frohe Botschaft, die Perry bereithält, ist die, dass es weniger auf die Fehler ankommt, die wir unseren Kindern gegenüber begehen, oder auf die Brüche, die daraus entstehen, sondern auf die Reparatur dieser Brüche, die meist auch lange Zeit später noch möglich ist. Perry erzählt von ihrer anfangs ungläubigen Begeisterung darüber, dass ihre vierjährige Tochter Flo irgendwann von selbst anfing, über ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, sich für Fehler zu entschuldigen und sogar ihre Wutanfälle verbal zu kontrollieren – einfach weil sie selbst meist ganz genauso behandelt worden war.

Überhaupt die Wutanfälle: Dieses Schrecknis der meisten Eltern, deren Kinder sich in den sogenannten „Trotzphasen“ im Alter zwischen etwa zwei und vier Jahren befinden, taucht an mehreren Stellen im Buch prominent auf.

Etwa im Abschnitt „Gefühle“, der für Perry „wahrscheinlich der wichtigste im ganzen Buch“ ist. Denn bevor Kinder lernen, sich mit Worten auszudrücken, müssen sie das vor allem über ihre Gefühle tun, ein Baby gar „ist pures Gefühl“. Daher sei ein Wutanfall meist keineswegs etwas, mit dem Kinder uns ärgern wollen oder das sie gar genießen, sondern oftmals ein Weg, etwas zu kommunizieren, was wir auf anderem Wege nicht wahrgenommen haben.

Ein schrecklicher Wutanfall

Und in einer der schönsten Passagen gegen Ende des Buchs versetzt sich Perry in die Perspektive eines kleinen Mädchens, das einen schrecklichen Wutanfall aus seiner Sicht schildert – das heißt schildern würde, wenn es nur die richtigen Worte dafür finden könnte.

Das müsse dann eben die Aufgabe der Eltern sein, die kindlicher Wut oft am besten den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie das Gefühl und dessen Gründe zu benennen versuchen, anstatt davon abzulenken, dem Kind dadurch Mitgefühl und Verständnis entgegenbringen, ohne notwendigerweise in der Sache nachzugeben.

Philippa Perry hat ein sehr kluges, geradezu weises Buch geschrieben, das Bücher über Töpchentraining und Abstillen vielleicht nicht vollständig ersetzen kann, das aber letztlich doch auch mehr „Tipps und Tricks“ enthält, als die Autorin beansprucht.

Das aber vor allem auf das eingeht, was wirklich zählt: wie wir eine dauerhaft gute Beziehung zu unseren Kindern – vom ungeborenen Baby bis zum Teenager – aufbauen, die ein Leben lang hält, anstatt Erziehung als ständigen Machtkampf zu konzipieren, in dem man immer mal wieder auch zu manipulativen Mitteln greifen muss. Darin hat dieses Buch letztlich auch eine eminent politische Bedeutung, nämlich als Modell für den Umgang zwischen Menschen überhaupt.

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