Erzbischof Woelki über die Lage der Kirche: "Wir leben nicht authentisch genug"
Ein Gespräch mit Berlins neuem Erzbischof Rainer Maria Woelki über Opus Dei, das Zölibat, seinen Umzug in den Wedding und den 1. FC Köln.
taz: Herr Woelki, wissen Sie schon, wohin Sie nach Berlin ziehen?
Rainer Maria Woelki: Voraussichtlich in den Wedding, dort sollen nicht nur die Wohn-, sondern auch meine Diensträume sein.
Dann ist es zu den sozialen Brennpunkten nicht weit.
Zumindest ist es mitten unter den Menschen. Außerdem ziemlich nahe der früheren Mauer. Das ist ein ganz guter Wohnort für einen Bischof, der verbinden und Einheit stiften soll.
Hat man als Bischof noch mit normalen Menschen Kontakt?
Mein bester Freund ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Am nächsten Samstag wird Woche wird Rainer Maria Woelki während eines Gottesdienstes in der St.-Hedwigs-Kathedrale in sein neues Amt als Erzbischof von Berlin eingeführt. Der 55-Jährige war bisher Weihbischof in Köln unter dem dortigen Kardinal Joachim Meisner, dem konservativen Flügelmann der deutschen Bischöfe. Traditionell wird der Berliner Erzbischof nach einiger Zeit vom Papst zum Kardinal ernannt. Das ist die höchste Stufe in der Kirchenhierarchie, deutsche Kardinäle gibt es nur sieben. Als Kardinal kann er nach dem Tod des Papstes dessen Nachfolger wählen oder gar selbst Papst werden. Nach der Ernennung Woelkis Anfang Juli zum neuen Erzbischof der Hauptstadt gab es öffentliche Kritik an ihm wegen seiner Promotion an einer Opus-Dei-Universität in Rom und wegen seiner Äußerungen zur Homosexualität. (ges)
Haben Sie Berührung mit Menschen, die in irgendeiner Weise nicht das Leben leben, das sich die Kirche vorstellt?
Ich habe Cousinen und Cousins, die von Arbeitslosigkeit betroffen, deren Ehen geschieden sind, die wieder geheiratet haben …
Und dann nicht zur Eucharistie dürfen?
Die dürfen dann nicht zur Eucharistie, obwohl ich gar nicht weiß, ob sie regelmäßig in die Kirche gehen. Ich habe keine Berührungsängste. Ich komme als Bischof, egal wohin.
Ihr Vorgänger Kardinal Sterzinsky hat sich viel für die Armen und Schwachen eingesetzt. Wollen Sie das auch tun?
Ich glaube, eine Kirche, die die Caritas, die Hilfe für die Notleidenden, aus dem Blick verliert, ist nicht mehr die Kirche Jesu Christi. Gleichgültig, ob das nun Migranten, Flüchtlinge oder Arbeitslose sind.
Dann sind Sie ja im Wedding am rechten Ort.
Ja, etwa 300 Meter von meiner neuen Wohnung entfernt ist eine Armenküche der Caritas, das ist für einen Bischof ein guter Platz. Schließlich war der Bischof im Mittelalter auch immer der Pater pauperum, der Vater der Armen.
Werden Sie dort auch einmal speisen?
Natürlich. Ich muss ja mittags auch mal was essen. Vielleicht haben die da eine Suppe übrig. (lacht)
Sie sind vor kurzem nach Berlin gezogen. Das Wenige, was man über Sie weiß, ist, dass Sie in Rom an einer Universität des Opus Dei studiert haben, einer katholischen Vereinigung, die sehr konservativ ist, um es vorsichtig zu sagen. Warum haben Sie gerade dort studiert?
Das ging über persönliche Kontakte, die ich über damalige Priesteramtskandidaten aus Köln dorthin hatte. Außerdem interessierten die sich für mein geplantes Dissertationsthema, die Pfarrei. Das hat sich einfach so ergeben.
Aber man hat doch seinen Stempel weg, wenn man an solch einer Universität studiert.
Darüber habe ich nicht viel nachgedacht. Und wenn ich jetzt bei einer Universität der Benediktiner oder an der Gregoriana der Jesuiten studiert hätte - hätte ich dann einen benediktinischen oder jesuitischen Stempel?
Das Opus Dei hat dennoch einen ganz eigenen Klang.
Das Opus Dei ist eine Gruppierung in der Kirche. Wir haben in Köln ein unverkrampftes Verhältnis zu dieser Organisation.
Gleichzeitig ist es natürlich eine besondere Vereinigung, nicht zuletzt, weil das Opus Dei in der Regel eine Geheimnistuerei veranstaltet, wer nun eigentlich dazugehört.
Ich kann das nicht entkräften, bin aber kein Mitglied des Opus Dei.
Sie tragen keinen Bußgürtel des Opus Dei?
Nein, und das (greift sich an den Bauch) ist ein anderer Gürtel. Ich habe andere Leidenswerkzeuge, etwa den 1. FC Köln.
Aber das Opus Dei steht schon für den streng papsttreuen und konservativen Flügel der Kirche. Und wenn Sie dort studieren, ist das schon eine Aussage.
Dass Opus Dei den Papst unterstützt, das haben die Jesuiten auch getan. Die Jesuiten haben ja auch ein viertes Gelübde, eben einen speziellen Gehorsamseid auf den Papst. Ich habe aber weder den "Weg" des Opus-Dei-Gründers Josemaria Escriva gelesen, noch ist das meine Form der Spiritualität.
Aber Sie haben schon eine Predigt über Escriva gehalten, und das in der Kölner Opus-Dei-Kirche St. Pantaleon.
Das haben auch andere getan, auch viele Bischöfe. Und Escriva ist heiliggesprochen worden.
Die Kirche befindet sich derzeit in der Krise. Nur noch ein kleiner Prozentsatz der Katholiken identifiziert sich mit dem, was Rom predigt. Wie wollen Sie dazu beitragen, dass es wieder mehr werden?
Es ist ja nicht alles verkehrt, was Rom predigt oder sagt. Es geht dem Papst nicht darum, Menschen klein zu machen oder als Moralapostel mit erhobenem Zeigefinger aufzutreten.
Aber das tut er doch.
Bei den Weltjugendtagen, ob in Köln oder Sydney oder jetzt in Madrid, trat er nicht auf und hat gesagt, ihr dürft das oder das nicht, etwa die Pille nehmen. Ich glaube, er hat einen nüchternen Blick dafür, was draußen los ist.
Die Dogmen der Kirche schrecken viele Menschen ab.
Da muss man unterscheiden. Das Pillenverbot ist ja kein Dogma. Ich bin dagegen, eine Kirchenkrise einfach herbeizureden. Die Kirche hat es gegenwärtig jedenfalls schwer.
Aber bei 180.000 Kirchenaustritten allein im vergangenen Jahr ist das doch eine Krise. Wie soll man das anders bezeichnen?
Ich mag das Wort Krise nicht, allenfalls von dessen Wurzel her: "crisis", also Entscheidung - darin ruft diese Krise hinein, eine Entscheidung für Christus. Das Schlimme ist, dass wir manchmal nicht authentisch genug leben, so dass sich manche gegen die Kirche entscheiden. Da wirken wir abstoßend. Wir müssen uns dazu bekennen, wo wir schuldig werden.
Wegen dieser Krise wurde in Deutschland der Dialogprozess der Bischöfe mit den Laien initiiert. Dabei hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gefordert, man müsse hier auch über das Zölibat reden. Finden Sie das auch?
Es kommen ja dazu oder dagegen seit Jahren keine neuen Argumente. Diese Lebensform hat Jesus gelebt. Es ist angemessen und gut, wenn Priester diese Lebensform praktizieren.
Paulus aber hat gesagt, der Bischof sollte verheiratet sein.
Das steht in seinen Briefen, aber neuere wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass es schon in sehr früher Zeit Bischöfe gab, die zwar verheiratet waren, aber mit dem Tag der Priesterweihe enthaltsam lebten.
Das Zdk fordert auch, darüber nachzudenken, ob nicht Frauen Diakoninnen werden können.
Was wir in der frühen Kirche als Diakonissinnen hatten, war etwas anderes als das, was wir heute unter dem Diakonat verstehen. In dieser Frage fühlt sich die Kirche an den Stifterwillen Jesu gebunden, deshalb sollen diese Ämter nur Männern vorbehalten sein.
Bei Ihrer Verabschiedung aus Köln hat Ihr bisheriger Vorgesetzter, Kardinal Meisner, vor einer fortschreitenden "Babylonisierung" der Gesellschaft gewarnt. Sehen Sie auch eine Babylonisierung?
Wofür steht Babylon? Für Gottlosigkeit? Das sehe ich nicht. Aber es gibt keine Gesellschaft ohne Gott. Denn er ist da, selbst wo es nur einen gibt, der an ihn glaubt. Eine babylonische Sprachverwirrung allerdings haben wir, wenn wir beobachten, wie wir oft nicht miteinander, sondern aneinander vorbeireden.
Babylon steht auch für Sittenverfall.
Dass Sitten verfallen, das bekommen wir ja mit. Zum Beispiel wenn ich sehe, wie wir mit Geld umgehen, und nicht nur an der Börse. Oder wenn manche zwei oder drei Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Da muss man ja nicht nur auf die Sexualmoral schauen.
Sie haben nach Ihrer Ernennung zum Erzbischof das Gesprächsangebot des Lesben- und Schwulenverbandes in Berlin angenommen. Diese Vereinigung ist jedoch zugleich eine der Organisationen, die die große Demonstration gegen den anstehenden Papstbesuch in Berlin veranstaltet. Haben Sie ein Problem damit?
Nein, wir leben in einer offenen, freien Gesellschaft, das Demonstrationsrecht gehört zu unserem demokratischen Staat. Das finde ich völlig in Ordnung, dass der Verband dort demonstriert. Ich hoffe nur, dass es in einer fairen, guten Weise geschieht, ohne Krawall. Dass man sich nachher auch offen und fair begegnen kann, ohne Verletzungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin