Erstes Urteil im Lügde-Prozess: Eine zentrale Figur
Das Urteil gegen einen Mittäter im Fall Lügde ist zu milde. Denn es ist die hohe Nachfrage nach Kinderpornografie, die das Geschäft erst ankurbelt.
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H eiko V. hat den Ort des Missbrauchs nie betreten – und doch hat der 49-Jährige aus Nordrhein-Westfalen sexuelle Gewalt an Kindern begangen: Er soll laut Gericht mindestens vier Mal live per Webcam-Übertragung beim Missbrauch von Kindern auf dem Campingplatz in Lügde zugesehen haben. Mehr noch: Er erteilte Handlungsanweisungen und masturbierte vor den Augen des Kindes.
Zudem besaß V., den das Gericht nicht als pädosexuell einstuft, mehrere zehntausend Fotos und Videos, die den Missbrauch von Kindern zeigen. Dafür wurde der Mann nun zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Das ist ganz schön wenig – denn die Heiko V.s dieser Welt sind die zentralen Figuren im Boombusiness Kinderpornografie.
Seit Jahren explodiert die Zahl der Missbrauchsabbildungen im Netz: Allein für Deutschland weist die polizeiliche Kriminalitätsstatistik von 2017 6.500 Fälle von Missbrauchsabbildungen aus – das ist ein Anstieg zum Vorjahr um 14,5 Prozent. Diese irren Wachstumszahlen sind möglich, weil es mittlerweile für jedermann technisch möglich und bezahlbar ist, riesige Datenmengen zu horten. Vor allem aber: Die Nachfrage ist da.
Es sind Männer wie Heiko V., die im Netz nach Missbrauchsabbildungen suchen, gezielt nach bestimmtem Material fragen, sogar explizite Bestellungen aufgeben – und dadurch die Nachfrage ankurbeln. Wo bestellt wird, wird auch geliefert.
Besonders hart wirkt das Urteil nicht gerade
Es sind, wie der Prozess gegen Heiko V. einmal mehr zeigt, eben nicht bloß ein paar hundert kranke Kernpädophile, die für die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Netz verantwortlich sind. Sondern Millionen „ganz normaler“ Porno-Konsumenten, die das Geschäft befeuern. Nicht weil sie sich durch ihre sexuelle Fixierung zwanghaft mit Abbildungen von Kindern befriedigen müssen – sondern weil sie es können.
Kinderpornografie ist ein Kontrolldelikt: Je mehr die Strafverfolgungsbehörden suchen, desto mehr finden sie auch. Doch Polizei und Justiz fehlen Kapazitäten und Befugnisse, um diesen Kampf zu gewinnen.
Vor einem Jahr, nach dem monströsen Fall im badischen Staufen, wo eine Mutter und ihr Lebensgefährte den Sohn zur Vergewaltigung im Internet angeboten hatten, war das Entsetzen über die nahezu ungestört blühende digitale Schattenindustrie groß. Der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs forderte Justiz-und Innenminister auf, ihre Instrumente im Kampf gegen Sexualtäter im Netz zu schärfen.
Besonders scharf, im Sinne einer Abschreckung für andere mittelbare Täter, wirkt das jetzige Urteil nicht gerade. Heiko V. hat sich im Gerichtsaal geständig gezeigt und sich bei seinem Opfer entschuldigt, er muss jetzt als Auflage eine Therapie machen. Immerhin.
Doch das Kind, das er live im Netz missbraucht hat, wird damit leben müssen, dass Aufzeichnungen seiner sexuellen Demütigung lebenslang im Netz kursieren. Und bald vom nächsten Mann mit „auffälliger, aber nicht krankhafter Sexualität“ angesehen werden.
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