Erste deutsche Netflix-Serie: Deutscher dunkler Wald
Lange wurde sie ersehnt, jetzt gibt es sie zu sehen: „Dark“, die erste deutsche Produktion des Streaminganbieters Netflix.
Die heiß ersehnte erste deutsche Netflix-Serie ist endlich da. Dass die amerikanischen Bosse ihre deutschen Vertragsarbeiter nicht eben mit einem Comedy-, sondern mit einem Mystery-Format betrauen würden, war anzunehmen. Was mag ein internationales Publikum von einer deutschen Serie erwarten?
Viel, viel und noch mehr dunklen deutschen Wald vielleicht. Davon gibt es in „Dark“ wirklich genug zu sehen. Die Straßen, die durch diesen Wald führen, sind so menschenleer – wie ein Truppenübungsplatz. Ein sagenhaft gut besetztes Ensemble (Karoline Eichhorn, Anne Ratte-Polle, Jördis Triebel, Mark Waschke, Angela Winkler …) hat die Regieanweisung bekommen, sich im Ausdruck auf die Bandbreite zwischen todernst und tieftraurig zu beschränken.
Was lastet so schwer auf der romantischen deutschen Seele? Das Waldsterben kann es nicht sein. Aber da wäre ja noch die German Angst vor der Atomkraft. Das Atomkraftwerk ist der einzige Arbeitgeber in Winden. In Winden wird viel geraunt: „Es gibt Dinge da draußen …“ – „Alles wiederholt sich. Alles ist genauso wie vor 33 Jahren.“ – „Es wird wieder passieren!“
Es ist schon wieder passiert. 33 Jahre zuvor ist ein Junge spurlos verschwunden, vor kurzem ein zweiter. Und jetzt noch einer. Der Vater des dritten (Oliver Masucci) ist zugleich der Bruder des ersten und untersucht als Polizist das Verschwinden des zweiten. Er hat eine Affäre mit einer Frau (Maja Schöne), deren Mann sich am Anfang erhängt hat. Auf dem Abschiedsbrief stand: „Nicht vor dem 4. November 22.13 Uhr öffnen.“ Ein Junge sitzt auf einem elektrischen Stuhl. Alles Licht flackert. Tote Vögel fallen vom Himmel.
Eine Parodie?
Die beiden ersten Folgen „Dark“ sind sowas von dick aufgetragen – eine irre Nummernrevue altbekannter Horror-Effekte und Mystery-Motive. Film gewordene Geisterbahnfahrt – unfreiwillige Genreparodie?
Netflix’ größter Konkurrent Amazon hatte im März mit der großen Matthias-Schweighöfer-Show (Regie, Produktion, Hauptrolle) „You Are Wanted“ vorgelegt: Schweighöfers knuddeliges Alter Ego statt in einer penetranten Komödie ausnahmsweise einmal in einem Berlin-Thriller, so löchrig wie die Straßen dieser Stadt. Das zu überbieten sollte den hochgelobten Produzenten Wiedemann & Berg („Das Leben der Anderen“, „4 Blocks“) nicht schwer fallen, wollte man meinen.
Bei Netflix-CCO Ted Sarandos hatten sie offenbar mit der Personalie des Regisseurs (aller zehn Folgen) Baran bo Odar punkten können, dessen „Who Am I“ auch in Amerika aufgefallen war. Wir schätzen an den Streamingdiensten die Filme und Serien in Originalversion – Wiedemann & Berg wollen die Amerikaner jetzt mit „Dark“ die hohe Kunst der Filmsynchronisation lehren. An Ambitionen mangelt es ihnen nicht.
Ab Folge 3 wird's besser
Vielleicht liegt genau da auch das Problem der beiden ersten „Dark“-Folgen. So knausrig die Streamingdienste mit Zahlen (Budget, Zuschauer) sind, so ein Gedöns veranstalten sie um „plot lines“, die nicht zu verraten ein Journalist unterschreiben muss, um sich, nein, nicht die ganze Serie vorab angucken zu dürfen. Aber immerhin drei Folgen. Zum Glück drei Folgen. Denn Folge drei funktioniert plötzlich viel besser.
Unter all den Effekten wird tatsächlich so etwas wie eine Handlung sichtbar. Ob die Entschleunigung mit dem vordigitalen Jahr 1986 zu tun hat? Mit den Tears for Fears hörenden, Raider, den Pausensnack essenden Karottenhosen-Trägern, zwischen denen eine im Jahr 2019 schmerzlich vermisste Person nun – ein halbes Jahr nach Tschernobyl – arg irritiert herumirrt, über deren Verbleib nichts zu verraten man doch unterschrieben hat.
„Dark“, zehn Folgen, ab 1.12. online abrufbar bei Netflix.
Die 1980er sind serientechnisch derzeit schwer in Mode („Red Oaks“, „Glow“) und „Stranger Things“ haben die „Dark“-Macher natürlich ebenso geguckt wie „Twin Peaks“ von Waldmeister David Lynch.
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