: Erste-Hilfe-Kurs statt Strafe
■ Jugendlicher Mokickfahrer tötet radelnden Rentner / Gericht läßt Milde walten
Erste-Hilfe-Kurs statt Strafe
Jugendlicher Mokickfahrer tötet radelnden Rentner / Gericht läßt Milde walten
Der 67jährige Max S. hatte das Haus nur verlassen, um Blumen zu kaufen. Er kehrte nicht zurück. Max S. starb am 18. Mai vergangenen Jahres bei einem Verkehrsunfall auf dem Arsterdamm. Auf den war der Rentner vom Beginenlande aus mit seinem Fahrrad eingebogen, die Vorfahrt hatte er offensichtlich nicht beachtet.
Der damals 18 Jahre alte Markus K. saß gestern auf der Anklagebank des Jugendschöffengerichts: blaß, schweigend, schüchtern. Auf die gefalteten Hände aufgestützt. Verschwindend klein auf dem großen Stuhl. Er mußte sich verantworten, den Tod eines Menschen fahrlässig verursacht zu haben. Markus K. war an diesem Tag mit seinem Mokick unterwegs. Den nötigen Führerschein (Klasse 1b) hatte er für die Honda MB 50 nicht. Wie K. dem Gericht freimütig erzählte, habe er zum Unfallzeitpunkt unter Heroineinfluß gestanden: erst eine Viertelstunde vorher habe er die Droge geraucht. Ja, er sei wohl süchtig gewesen damals. Ein halbes Gramm pro Tag habe er schon gebraucht, auch Pillen (Rohypnol). K. erzählt auch, daß er nach dem Unfall selbst entzogen habe, dabei Schüttelfrost und andere Symptome überwunden hatte. Ob dies eine Schutzbehauptung ist, wie Staatsanwalt Klaus-Peter Finke beiläufig vermutet, bleibt ungeklärt.
K. hatte den Radfahrer nicht kommen sehen: Er war plötzlich vor ihm, K. mit der hochfrisierten Maschine mit vielleicht 50 km/h viel zu schnell. Ein nachfolgender Autofahrer sah all dies kommen: den Radfahrer, der nicht guckte, den Jugendlichen, der irgendwie nach links abgelenkt war. Der Zeuge sah auch, wie der Radfahrer nach dem Aufprall über das Moped hinausflog, wie er aufschlug, der Jugendliche ebenfalls stürzte — und davonlief.
Unter Schock und aus Angst, verhaftet zu werden, rannte K. nach Hause. Nach dem alten Mann hatte er nur kurz geschaut. Zu Hause gestand er unter Tränen, was passiert war. Von Freundin und Freund ließ er sich überreden, zur Polizei zu gehen. Der Beamte beschreibt, wie K. zitternd sein Geständnis machte.
Der Jugendgerichtshelfer schilderte gestern, sichtlich tief bewegt, die „vielen unglücklichen Umstände“, die „so tragisch“ mit dem Tod eines Menschen endeten. Er schildert das familiäre Elend der Großfamilie (Eltern arbeitslos, Vater Frührentner), den bis dahin beinahe typischen Lebenslauf: Schule, Lehre — Markus K. brach alles ab. „Wenig Selbstvertrauen“, schätzt der Helfer. Er greift eine leise Bemerkung des Angeklagten auf: Er werde auch nie einen Führerschein machen — damit so etwas kein zweites Mal passiert. Der Zwillingsbruder im Zuhörerraum schluckt.
Gericht, Verteidiger und Staatsanwalt sind sich einig: Markus K. soll eine Chance haben. Sechs Monate sozialer Trainingskurs bei der Bewährungshilfe wurden ihm auferlegt. Und ein großer Erste-Hilfe-Kurs. Falls er die Auflagen nicht erfüllt, ist der Arrest ihm sicher. Der Polizeibeamte, der die Todesnachricht zur Familie von Max S. brachte, scheint enttäuscht. Die Kollegen hatten ihn gebeten, die Verhandlung zu besuchen. Doch am Ende sagt auch er: „Furchtbar.“ ra
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