: Erst wählen - dann stationieren
■ Nato-Planungsgruppe will Debatte über die Stationierung der neuen flugzeuggestützten Atomraketen in der Bundesrepublik aus dem Wahlkampf heraushalten / Stationierungsentscheidung am 7. Dezember
Genf (taz) - Wie lassen sich die Umrüstungspläne der Nato in Westeuropa am besten verkaufen? Wie kann die Stationierung der neuen luftgestützten Raketen - vor allem gegenüber der bundesrepublikanischen Bevölkerung - durchgesetzt werden? Dieses Problem wird die heute beginnende Nukleare Planungsgruppe (NPG) der Nato beschäftigen. Auf ihrer Frühjahrssitzung im kanadischen Calgary wird sie drei Modelle für die Stationierung der neuen Atomwaffen erörtern. Grundsatzbeschlüsse über die künftige Atomwaffenstruktur und -strategie sind für den Nato-Gipfel Anfang Juli vorgesehen. Konkrete Stationierungsentscheidungen sollen auf der NPG -Herbsttagung fallen. Die wurde vom Routinetermin Ende Oktober schnell auf den 7. Dezember verlegt - in der Absicht, das Thema aus dem bundesdeutschen Wahlkampf herauszuhalten.
Vor allem Washington und London drängen darauf, daß der größte Anteil der neuen Flugzeugraketen - wie in den bisherigen Planungen vorgesehen - auf bis zu fünf Flughäfen in der Bundesrepublik stationiert wird (siehe taz vom 4. Mai). Vor dem Abzug ihrer bodengestützten Atomwaffen erwartet Washington verbindliche Stationierungszusagen. Die beiden anderen Modelle die zur Diskussion stehen hätten aber den Vorteil, daß sie den Anteil der BRD an der neuen Aufrüstung verschleiern: Gemäß dem einen, würden die Luftwaffen der BRD, Großbritanniens, sowie möglicherweise anderer Nato-Staaten eine gemeinsame Luftstreitkraft bilden. Deren Heimatstationierungsflughäfen sowie die Lagerstätten zumindest für die Atomsprengköpfe der Abstandsraketen lägen auf britischem Territorium. Die multilaterale Luftstreitkraft hätte aber gesicherte Überflugsrechte über der BRD und anderen Nato-Staaten.
Das dritte Modell sieht die Stationierung der neuen Flugzeugraketen in Westeuropa nur im „Krisenfall“ vor ähnlich den Vereinbarungen zwischen Bonn und Washington über den Transport chemischer Waffen in die BRD.
Diese beiden letzten Modelle kämen dem Wunsch der Bonner Koalition nach Vermeidung einer Raketendebatte im Wahlkampf sowie von Belastungen im Verhältnis zu Moskau entgegen zumal während der Sechsergespräche über Deutschland. Auch andere vom Pentagon zur Stationierung auserkorene Länder, in denen A-Waffen umstritten sind, wie Belgien, Griechenland und die Niederlande, dürften diese beiden Modelle bevorzugen. Die Möglichkeiten zur Bedrohung sowjetischen Territoriums blieben wegen der großen Reichweite der Flugzeuge wie der Abstandsraketen uneingeschränkt.
Die Bonner Koaltion hat sich bislang voll an den Planungen für flugzeugestützte Abstandsraketen beteiligt. Die im Oktober 1986 von der NPG beschlossene Notwendigkeit einer atomaren Bedrohung sowjetischen Territoriums auch nach der Verschrottung der landgestützen PershingII und Cruise Missiles ist auf der Hardthöhe immer ausdrücklich befürwortet worden. Das belegen ein der taz vorliegendes vertrauliches Memorandum von Ex- Staatssekretär Rühl an den damaligen Verteidigungsminister Wörner vom 17. März 1988 und zahlreiche andere interne Unterlagen. Doch gelang es der Nato und Bonn bislang, die Abstandsraketen weitgehend aus der öffentlichen Debatte über die „Modernisierung“ herauszuhalten.
Andreas Zumach Siehe auch Bericht Seite 5
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