Erst Rettung, dann Streit: Der selbstverwaltete Räumungsprozess
Vor ein paar Jahren retteten Studierende die Wohnheime des Studentendorfs Schlachtensee und gründeten eine Genossenschaft. Nun liegen Genossenschaft und Studentische Selbstverwaltung im Clinch.
Im Dunkeln gleicht das Studentendorf einer Geisterstadt. Die Straßen am Schlachtensee sind menschenleer, die Häuser baufällig. Aus der Ferne tönt Musik, sie weist den Weg zum Club A18. In dem altmodisch eingerichteten Raum riecht es nach Pommesfett und Bier. Hier tagt die Studentische Selbstverwaltung (SV). Sie kämpft um den Erhalt des Clubs und weiterer Einrichtungen. Denn den Selbstverwaltern wurde gekündigt. Von der Genossenschaft, die sie einst mit gegründet haben. Mitte März treffen sich die beiden Seiten vor Gericht.
Das Studentendorf ist ein Geschenk der amerikanischen Regierung an Westberlin. In den von 1959 bis 1964 errichteten Häusern sollten die Nachkriegsstudierenden wohnen und zugleich Demokratie lernen. So entstand 1972 die Studentische Selbstverwaltung. Als der Senat die Häuser Ende der 90er-Jahre abreißen wollte, gründete sich aus der SV heraus eine Genossenschaft, die den Abriss verhinderte und 2003 einen Kaufvertrag unterzeichnete. Von diesem Zeitpunkt an war die Genossenschaft für die Vermietung und die Sanierung des Dorfs verantwortlich. Die SV kümmerte sich um die internen Belange der Studenten.
Die SV ist ein gemeinnütziger Verein. Die rund 300 Mitglieder zahlen pro Semester einen Beitrag von 9 Euro und können dafür neben dem Club A18 ein Fitnessstudio, einen Waschsalon, einen Computerraum und einen Fahrradverleih nutzen. Jetzt soll sie diese Räume an die Genossenschaft abgeben.
Erik Wegner ist Vorstandsmitglied der SV. Er springt auf die kleine Bühne des Clubs und fasst die Problematik locker zusammen: "Die Genossenschaft hat uns 2005 gekündigt. Seitdem versuchen wir neue Verträge mit ihr auszuhandeln." Die Genossenschaft wollen das verhindern. "Aber wir wollen diese Verträge!", ruft Wegner. Hinter ihm wird ein Bild des Haus 14 auf einen Leinwand projiziert, mit der Überschrift: "Hier dürfen die Lichter nicht ausgehen." Haus 14 beherbergt den Club A18.
Im Internationalen Begegnungszentrum der Wissenschaft (IBZ) hat Andreas Barz, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft, sein Büro. In den modernen Häusern des IBZ wohnen ausländische Gastwissenschaftler und ihre Familien. Das IBZ bietet zahlreiche Kultur- und Freizeitangebote für seine Bewohner an - ein Angebot, wie es Barz auch für das Studentendorf vorschwebt. Von der SV könne er die Umsetzung dieser Vision jedoch nicht erwarten. "Die SV vertritt nur ihre eigenen Interessen, nicht die der Studenten", sagt Barz. 40.000 Euro Betriebskosten koste die Genossenschaft das Haus 14 jährlich. "Wir finanzieren das Haus einer Gruppe, die schon lange nichts mehr für ihre Studenten gemacht hat", sagt Barz.
Jens-Uwe Köhler, Finanzvorstand der Genossenschaft, hat einst selbst in dem Studentendorf gewohnt. Lange Zeit war er Geschäftsführer des Clubs A18. Er versteht, warum der SV-Vorstand nicht nachgeben will: "Es ist ein gutes Gefühl, als Geschäftsführer mit einem Bier in der Hand durch den Club zu laufen und wichtig zu sein", erinnert er sich. "Aber wir haben damals auch noch richtig gute Events organisiert." Der SV gehe es um "Besitzstandswahrung", nicht um die Studenten, meint Köhler.
Die neuen Verträge scheitern laut Barz an Details. Die Genossenschaft habe mit der SV einen Dienstleistungsvertrag aushandeln wollen. Darin würde aufgelistet, welche Veranstaltungen die SV künftig in den Räumlichkeiten anbieten möchte. "Dann wurde sich über das Wort Dienstleistung gestritten", erzählt Barz. Außerdem würde sich die SV weigern, Räume abzugeben, die sie nicht brauche. Dazu gehöre unter anderem der Fahrradverleih, in dem nur drei klapprige Räder ständen.
Dass das kulturelle und soziale Angebot für das Dorfleben notwendig ist, darin sind sich die beiden Parteien einig. Das sanierungsbedürftige Dorf dürfe nicht noch mehr an Attraktivität verlieren. Die Genossenschaft will einen neuen Pächter für den Club A18 suchen. Im Haus 14 sollen eine Sauna, ein größerer Fitnessraum und Seminarräume Platz finden.
Die SV will die Räume selber verwalten. Noch ein wenig unorganisiert planen die Mitglieder im Club A18 ihren Widerstand. "Wir sind wichtig für das Studentendorf", betont Wegner. "Wir organisieren Partys, Integrationsveranstaltungen und beraten in Mietfragen." Neun Arbeitsgruppen haben sich gebildet. In jeder Gruppe seien mindestens zehn Leute. Dass der Club heute so leer ist, liege an den bevorstehenden Klausuren, erklären die Studenten.
Die Genossenschaft verfolge keine wirtschaftlichen, sondern politische Interessen, kritisiert Erik Wegner. "Es geht nicht darum, das Studentendorf zu retten. Die wollen einfach nicht mehr, dass wir uns einmischen", erklärt er. Auch Andreas Barz sieht diesen Machtkampf: "Wir streiten seit 2005 darüber, wer der König im Studentendorf ist."
Studentin Rosa Haberland warnt davor, der SV ihre Räumlichkeiten wegzunehmen. "Die sollen sich davor hüten, die Atmosphäre hier kaputtzumachen, denn in Zehlendorf gibt es sonst nichts, wofür es sich lohnt hier zu wohnen."
Die Ex-Dorfbewohnerin Sophia Dister fügt hinzu: "Gäbe es den Club und das Fitness-Studio nicht, wäre ich nicht so lange hier wohnen geblieben." Sie habe die schönste Zeit ihres Lebens in dem Dorf erlebt. Dabei war der Wohnraum alles andere als optimal gewesen: "Die Heizung ging nicht, der Spülkasten war kaputt, die Fenster schlossen nicht richtig, es gab Schimmel."
Die SV-Mitglieder haben der Genossenschaft einen überarbeiteten Vertragsentwurf vorgelegt. Sie wollen möglichst viele Einrichtungen halten. Die Räumungsklage laufe weiter, sagt Genossenschaftsvorstand Barz. "Nur wenn die SV ein ganz neues Angebot ausgearbeitet hat, in dem die Bewohner im Mittelpunkt stehen, kann man noch mal verhandeln."
Derzeit zeichnet sich eine ganz andere Entwicklung ab. Selbst wenn der Prozess verloren geht, wollen die Selbstverwalter nicht weichen. Die sogenannte Spieltheorie-Gruppe bereitet schon Widerstandsaktionen vor. "Wir wollen keine zweite Liebig 14", sagt Gruppenmitglied Rosa Haberland, "wir werden aber auch nicht kampflos aufgeben." Ihre Gruppe plane Hausbesetzungen und Studentenproteste. Auch Erik Wegner, der die Studenten zur "konstruktiven und gewaltfreien Mitarbeit" auffordert, kündigt an: "Wir gehen bis zum Schluss und weiter."
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