Eröffnung im Schwulen Museum in Berlin: Meine lesbischen Schwestern
Den Vorkämpferinnern der frühen siebziger Jahren ist die großartige Ausstellung „Radikal – lesbisch – feministisch“ gewidmet.
Wenn sie erzählt von alten Zeiten, bekommt ihr Gesicht ein leichtes Strahlen, ihre Augen scheinen zu lächeln, als sei das, was sie gerade erinnert, sehr lange her. Und das ist es ja auch: Christiane Härdel weiß, wie es war, damals, Anfang der siebziger Jahre in Westberlin, als es richtig losging mit dem Lesbischen. Sie, heute in den frühen Siebzig, aber extrem frisch im Kopf, ja, wenn ich das als Freund sagen darf, fast teenagerhaft lebendig in so gut wie allem, sie hat noch viel vor.
Unter anderem, das muss hier berichtet werden, kuratierte sie mit anderen lesbischen Frauen, Dr. Regina Krause, Monne Kühn und dem erfahrenen Schwules-Museum*-Mann Wolfgang Theis eine Ausstellung, die Donnerstag ihre Vernissage hat. Titel: „Radikal – lesbisch – feministisch“, oder wie es in der Unterzeile des historisch orientierten Projekts lapidar heißt: „Zur Geschichte des Lesbischen Aktionszentrums (LAZ) und der HAW-Frauengruppe, 1972–1982“.
Was mich, als schwuler Mann, der ich bin seit meinem Coming-Out 1977, besonders interessiert, was meinen Blick vorfreudig stimmt, ist vor allem dies: dass ich mehr von dem erfahre, was meine lesbischen Geschwister damals machten. Wie es unter männlichen Homos war – geschenkt. Das weiß man natürlich irgendwie, auch, weil man dabei war. Eine Zeit vor Jahrzehnten, als CSD noch für ein Kürzel aus der chemischen Welt gehalten werden konnte, als ein unverstecktes öffentliches Dasein Homosexuelle*r noch sehr viel Courage nötig hatte.
Aber wenn Christiane Härdel erzählt, wie es denn war, dieser Aufbruch, dann höre ich ihr zu, als blätterte sie eine sehr unbekannte Seite der Familienchronik auf, von der zu erfahren man doch immer hoffte.
Das Lesbische als terra incognita
Denn das Lesbische, von schwuler Warte aus gesehen, war immer eine terra incognita, ein unbekanntes Terrain: Wir als männliche Homosexuelle, die wir selbst erst die Vergiftungen durch Paragrafenverfolgung, durch Diskriminierungen, von denen heute niemand ahnt, wie schroff die sein konnten, hinter uns lassen mussten, waren aus ihrer lesbischen Welt raus. Nicht am Anfang, nicht in politischer Hinsicht. Die ersten Lesben, so wird zu erfahren sein, kamen auch zur Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), wie die Männer, die später unter diesem Dach Theoriestreits ausfochten. Sie nannten sich zunächst „schwule Frauen“ – das Worte Lesbe war noch nicht so populär.
Irgendwann trennten sich die Wege, mussten sie sich womöglich scheiden. Schwule Männer, eben auch: Männer, dominierten diese HAW in jeder Hinsicht, durch Präsenz, durch Frauen erdrückende Präsenz. Diese Frauen, sie hatten keinen Raum, der sie vor männlicher Macht schützte – und um sich nicht als Opfer schlechthin zu empfinden, um sich selbst als Lesben selbst zu ermächtigen, brauchte es Distanz. Abstand zur HAW eben.
„Radikal – Lesbisch – Feministisch“ im Schwulen Museum*, Lützowstr. 73, läuft bis zum 6. November. Vernissage 5. 7. 19 Uhr, Eintritt frei. Öffnungszeiten: So., Mo., Mi. & Fr. 14–18 Uhr, Do. 14–20 Uhr, Sa. 14–19 Uhr, Di. Ruhetag, 7,50/4 €
Manche, aber wirklich nur einige wollten gar aus dem Dunstkreis der „Warmen Brüder“ raus, es schmeckte bei ihnen allzu oft nach Strafparagrafen, man wollte nicht in schlechten Ruf kommen. Aber das waren nicht die politischen Lesben, nicht die vom LAZ oder der HAW.
Jedenfalls gründete sich schließlich das Lesbische Aktionszentrum aus den Aktivitäten der HAW heraus – und so segelte man hinfort unter lesbischer Flagge einerseits, andererseits auch unter dem Theoriefirmament des Feminismus.
Diese Geschichte von Nähe geschwisterlicher Weise und Trennung auf familiäre Art wird in dieser Ausstellung liebevoll erzählt – in sorgfältiger Auswahl der Exponate, von denen viel aus privaten Quellen kommt. Es werden zur Eröffnung natürlich toute Berlin präsent sein, wer als geschichtsbewusste und politisch nicht völlig queeresoterisch-verblendete und postsäkulare Person Lesbe auf sich hält, muss da hin.
Man möchte es kaum betonen müssen, doch es wird auch für schwule Männer sehr viel zu bestaunen, zu lernen und zu erkennen sein. Typisch wäre das nicht: Die weiblichen Geschwister der Homofamilie gehen zu den Events ihrer schwulen Angehörigen eher selten, umgekehrt gilt dies fast noch mehr: Das muss sich ändern, die Zeiten sind ja nicht danach, dass man sich solcherart Separatismus noch erlauben könnte.
ist taz-Redakteur und engagiert sich ebenfalls für das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus-Projekt – vor allem, weil es die queeren Perspektiven, die geschwisterlichen Aussichten zur Geltung bringen wird
Es sind, so sagt es Christiane Härdel, Zeiten, die keine politischen Spielchen mehr erlauben, Jahre, in denen es nicht mehr darauf ankommt, Stürmchen in den Wassergläsern der eigenen Nische zu entfalten. Sie, die als Ärztin lange arbeitete und im Ruhestand, man möge mir diese Binsenvokabel verzeihen, zu einem Unruhestand fand, in dem sie unter anderem sehr energisch die Absicht hegt, das Projekt „Elberskirchen-Hirschfeld-Haus – Queeres Kulturhaus Berlin“ zu verwirklichen, will diese Abgeschiedenheit, dieses Getrennte von Lesbischem und Schwulem überwinden.
Ein Haus als queerer Leuchtturm
Ihr Glanzprojekt ist ein Haus aller lesbischen, schwulen, feministischen und Trans*archive, ein munteres, der Öffentlichkeit leidenschaftlich zugewandtes Haus, das ein „Queerer Leuchtturm“ sein möge, ein Projekt als Statement, als souveräne Geste sehr im Geiste der Ahneltern Johanna Elberskirchen und Magnus Hirschfeld, die ja beide nicht so sehr für Sektierertum standen.
Womit man schon zum Heutigen kommt. Wir dürfen nicht hinter die Aufklärung zurückgehen, sagt Christiane Härdel. Programmatisches im Schwulen Museum*, das sich der religiösen Spökenkiekerei widmet, der Liebe zum Religiösen und der damit einhergehenden Absage an kühle, rationale und politisch vermittelbare Perspektiven lesbischer und schwuler Anliegen im Politischen wie Kulturellen, lehnt sie mit gruseligem Schauer ab. Sie setzt auf Kooperation und weiß sich in ihren Kreisen sicher, dass das Lesbische immer mitgesehen wird.
Und mehr noch: Lesbische Sichtbarkeit, zumal im sogenannten Jahr der Frau, das für 2018 ausgelobt wurde, ist doch bitte auch für schwule Männer kein Grund, in beleidigte Stimmung zu geraten. Es ist wichtig, darf man anfügen, dass die „queere“ Familie sich gegenseitig respektiert und voneinander lernt. Einander zuhört. Und die historischen Leistungen etwa der Lesben, die das Lesbische Aktionszentrum zur Welt brachten, von Herzen würdigt.
Diese Ausstellung verdient mehr als Aufmerksamkeit. Eher: Liebe, allen lebensweltlichen Differenzen zum Trotz. Solidarität geht ja nur, wenn man sich kennt. Anders gesagt: besser kennenlernt. Ein Besuch im Schwulen Museum*, das durch diese Ausstellung lesbisch wird, eignet sich hierfür perfekt.
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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