Eröffnung der Buchmesse mit Merkel & Xi: "In Diktaturen brennen Bücher"
Schlagabtausch in Frankfurt. Zur Eröffnung der Buchmesse lieferten sich die deutsche Bundeskanzlerin und der chinesische Vize-Präsident ein scharfes Rededuell über Bücher und Diktaturen.
Es war eine hochpolitische Buchmesseneröffnung. Deutschland gegen China. Ein Freundschaftsspiel mit Heimrecht für die Deutschen. Es ging eigentlich um nichts, nur um Bücher und die politische Ehre. Aber der große, gut gefüllte Saal der glitzernden Frankfurter Kongresshalle knisterte vor Spannung, wenn im Parkett links unten mal wieder nur die chinesischen Gäste applaudierten, dann im Gegenapplaus die Deutschen ringsherum und in besonderen Momenten alle klatschten.
Es war weit mehr als nur eine Messeeröffnung. Es war eine Redeschlacht: Auf der einen Seite die Führerin der derzeit mächtigsten demokratischen Partei Westeuropas, der CDU, Angela Merkel. Auf der anderen Seite der zukünftige Parteichef der mächtigsten Partei Ostasien, der KP Chinas, Xi Jinping. Ihnen zur Seite standen andere Redner. Aber sie verdeckten nicht das Duell Merkel-Xi. Keiner der beiden nahm bei Licht besehen ein Blatt vor dem Mund. Es war genau die Debatte, die die Welt führen muss.
Merkel begann auf scheinbar sicheren Boden: "Es ist und bleibt ein menschliches Grundbedürfnis, ein Buch in den Händen zu halten," sagte sie. Die Christdemokratin dachte vermutlich an Luther und die Bibel. Aber da schauten schon die ersten Mitglieder der offiziellen chinesischen Delegation zu Boden. Trotz Mao-Bibel - ein Grundbedürfnis ist für chinesischen Kommunisten immer noch etwas anderes: Dach über dem Kopf, Decke, Reisschale. "Wir haben das Nahrungsmittelproblem für 1,3 Milliarden Chinesen gelöst", sagte Xi in seiner Replik. Das klang bescheiden, war es aber nicht. Denn er sagte damit auch: Woanders in der demokratischen Dritten Welt, in Afrika oder Indien, ist das Nahrungsmittelproblem nicht gelöst.
Daraufhin ging Merkel zum Frontalangriff über. "In Diktaturen werden Bücher verbrannt und verboten", sagte sie. Damit kanzelte sie die Nazis, die Bücher verbrannten, und die chinesichen Kommunisten, die heute noch Bücher verbieten, in einem Atemzug ab. Merkel erzählte aus ihrer DDR-Geschichte: Sie habe es selbst erlebt, wie mutige Westler statt Apfelsinen zu schicken, Bücher in die DDR schmuggelten.
Die taz kooperiert dieses Jahr mit der Frankfurter Buchmesse. Unter dem Titel "Die Chinesen sind da" wirft die taz einen genauen Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Gastland China. Die taz steht für bedingungslose Meinungsfreiheit, für hartgeführte Kontroversen, für die – wenn nötig – offene Provokation. Sie steht für genau das, was auf der Buchmesse mit dem Gastland China in diesem Jahr zu kurz zu kommen droht.
Warum aber engagiert sich die taz – trotz des Eklats im Vorfeld um die Aus- und Einladung der chinesischen Dissidenten – für das Buchmessen-Experiment mit China?
Wir glauben, dass Rück- und Tiefschläge im Dialog mit China, der peinliche Fehltritt des Buchmessendirektors eingeschlossen, unvermeidlich sind. China ist der “große Fremde” für den Westen, sagt der Philosoph Jürgen Habermas. Das Land ist heute mächtiger denn je. Das macht den Dialog so schwierig.
Aber es gibt zu ihm keine Alternative.
Das taz-Portal zur Buchmesse finden Sie unter buchmesse.taz.de.
Sie rieb es den Chinesen unter die Nase: "Bücher stellen Unterschiede heraus, die eine Diktatur gefährden." Habt also Angst, Ihr Kommunisten, vor der Buchmesse! Ihre deutschen Zuhörer aber wollte die Kanzlerin nicht beunruhigen. In Deutschland hätten die Bücher geholfen, die DDR-Diktatur abzuschaffen. "Deshalb können wir mit Stolz sagen: Bücher sind Teil unserer Geschichte!", sagte Merkel. Es klang, als könnten die Chinesen das nicht von sich sagen. Als könnten wir Deutschen stolzer auf die Geschichte sein als die geschichtsstolzen Chinesen.
Xi parierte den Angriff in defensiver Haltung. "Wir plädieren für eine harmonische Welt", sagte Xi. Im Mantel des Konfuzius kam er jetzt daher. Die chinesichen Autoren und Verlage seien auf der Buchmesse, um "zu lernen". Lernen bis ans Lebensende – das ist die alte konfuzianische Mantra. "Wir sind bereit die Überlegenheiten anderer zu übernehmen, aber aufbauend auf unserer Kultur", sagte Xi. Er widersprach Merkel nicht. Er suggerierte ihr sogar Überlegenheit.
Und doch demonstrierte er chinesische Stärke: Denn baut nicht alle Kultur auf China auf, zumal die Buchkultur, die 500 Jahre vor Gutenberg in China entstand? Und ist nicht gerade in Zeiten der Globalisierung derjenige stark, der am schnellsten und meisten lernt? "Die Einflüsse der Kultur gehen über Zeit, Raum und Staatsgrenzen hinaus", sagte Xi. Er sagte nicht, ob er damit mehr die chinesische oder die westliche Kultur meinte. Und demonstrierte damit wieder Stärke.
Merkel endete im Ton der Herablassung. "Die chinesische Kultur ist in Deutschland noch relativ wenig bekannt. Deshalb ist es wunderbar, dass China Gastland (der Buchmesse, d.R.) ist," sagte die Bundeskanzlerin. Sie riet den Deutschen den Chinesen Fragen zu stellen, auch solche, "wo die Chinesen denken: Wissen die überhaupt etwas über unser Land?" Sie wollte die Deutschen in ihrem Herrschaftswissen bestärken. Wer nichts über China weiß, soll sich nicht grämen. Bei Chinesen sind auch dumme Fragen erlaubt!
Xi reagierte mit der Globalisierungstheorie. "Durch Verschmelzung werden wir alle bunter", sagte der Vize-Präsident Chinas. Verschmelzung mache die Kulturen lebendiger, sie sei zugleich eine wichtige Triebkraft für den Frieden in der Welt, sagte Xi. Früher trugen Westler wie Bill Clinton diese Theorie nach China. Jetzt fühlt sich die chinesische Führung stark genug, sie selbst zu predigen.
Doch Merkel wollte ausschließen, dass den Chinesen ihre Erfolge zu Kopf steigen. "Gewiss hat es (in China, d.R.) wirtschaftliche Erfolge gegeben. Viele Menschen aus der Armut zu holen, ist eine bemerkenswerte Leistung," sagte Merkel. Es klang so, als sollten sich die Chinesen darauf bloß nichts einbilden. Xi konnte das nicht durchgehen lassen: "Wir erfüllen unseren Bürgern die wesentlichen Rechte, wir gewährleisten das Recht auf Existenz," sagte Xi. Da war er nun ganz der stolze Kommunist. Genauso überzeugt von sich und seinem politischen System wie Merkel, als sie zuvor über die Meinungsfreiheit auf der Buchmesse sprach.
Gut tat diese Diskussion, ein echtes Duell mit Haken und Finten, aus dem keiner als Sieger hervorging. Wenn es so etwas öfter gäbe, gäbe es irgendwann vielleicht eine Weltregierung.
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