Eröffnung Festspiele Bayreuth: Die Geister lahmen
Dmitri Tcherniakov inszeniert Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ als Rachegeschichte. Und Oksana Lyniv dirigiert als erste Frau in Bayreuth.
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Die Bayreuther Festspiele waren im vergangenen Jahr das erste große Festival, das wegen der Pandemie komplett abgesagt wurde und gar nicht erst versuchte, ein den Hygieneregeln gehorchendes Programm anzubieten. Diese Konsequenz wurde auch kritisiert, zumal die Salzburger Festspiele mit Erfolg ein Pandemieprogramm durchzogen. In diesem Jahr geht in Bayreuth der Vorhang endlich wieder hoch, unter schärfsten, bayerisch überinterpretierten Pandemieregeln, vor halbiertem Publikum und am Abend der Eröffnungspremiere wegen der Politprominenz auch unter lächerlich aufgerüstetem Polizeiaufgebot.
Beschwerlich kämpft man sich unter mehrfachen Taschenkontrollen zum Hügel herauf und sortiert sich in penibel nach Sitzplatz kanalisierte Wege. Statt der üblichen Gastronomie stehen Food-Trucks neben dem Haus und ausgelagerte Sanitärhäuschen, es gilt FFP2-Maskenpflicht und die Karten sind natürlich personalisiert und nur gegen 3-G-Nachweis zu haben.
Die Hygienehysterie – das Publikum dürfte angesichts des Altersdurchschnitts durchgeimpft sein – wird vollends ad absurdum geführt, als sich dann doch, wenn auch ohne roten Teppich, die Polit-Prominenz zeigt und die Gaffer sich unbehelligt dicht an dicht drängen, um der Nochkanzlerin freundlich zu applaudieren.
Erste Dirigentin der Festspielgeschichte
Aber dann geht es endlich los mit einem gespannt erwarteten Debüt, denn mit der Ukrainerin Oksana Lyniv steht zum ersten Mal in der 145-jährigen Festspielgeschichte eine Frau im magischen Bayreuther Graben, der bekanntlich durch seine Deckelung Tücken hat. Lyniv hat darüber hinaus damit zu kämpfen, dass der Chor, der im „Holländer“ eine tragende Rolle spielt, in diesem Jahr nicht auf der Bühne singen darf, sondern via Glasfaserkabel in Echtzeit aus dem Chorsaal zugeschaltet wird, wo die Sänger*innen einzeln in Plexiglas-Kabinen mit Kopfhörern sitzen.
Das bringt nicht nur atmosphärisch Probleme mit sich, die furiosen Sturmchöre und erst recht das Gefecht zwischen Seefahrern und Geistern sind derart indirekt unmöglich mit der erforderlichen Dramatik zu verzahnen, außerdem fehlt die physische Präsenz auf der Bühne, die stattdessen von stummen Chorist*innen bevölkert ist.
So klappert es immer wieder gefährlich, Oksana Lyniv bemüht sich hörbar um eine schlanke, von der Spieloper inspirierte Interpretation, die rhetorisch und gestisch denkt und weniger auf Überwältigungseffekte setzt. Das gelingt stellenweise hervorragend, an anderen Stellen fehlen aber einfach Wucht und Fallhöhe.
Die Häuschen gehen in Flammen auf
Das gilt leider auch für die Regie von Dmitri Tcherniakov, der die Geschichte des verfluchten Untoten, der alle sieben Jahre an Land darf, um durch die bedingungslose Liebe einer Frau zum Sterben erlöst zu werden, umdeutet in die Geschichte eines traumatisierten Rächers. Während der Ouvertüre erzählt Tcherniakov in stummen Bildern die Vorgeschichte: Der Holländer ist noch ein kleiner Junge, als seine Mutter mit dem Seefahrer Daland ein Verhältnis eingeht. Als dieser sie sitzen lässt und sie von der Gesellschaft ausgegrenzt wird, erhängt sie sich und lässt ihren traumatisierten Sohn zurück.
Der kehrt nun erwachsen in sein Heimatstädtchen zurück – Tcherniakov zeigt sterile Klinkerhäuschen, die an der englischen oder holländischen Küste stehen könnten – und macht sich an Senta heran. Daland lebt inzwischen mit Mary zusammen, am Schluss ballert der Holländer in die Menge, die Häuschen gehen in Flammen auf und Mary erschießt den Holländer.
Diese Regie-Idee könnte sogar aufgehen, würde Tcherniakov das Ganze nicht so steif und statisch arrangieren und in Stereotypen ersticken. Senta, die mit Asmik Grigorian in jeder Hinsicht ideal besetzt ist, muss als rebellisch pubertierendes Töchterlein mit schlecht gefärbtem Haar im Hoody ständig fuchtelnd überagieren, beim großen Anbahnungsduett ist das Paar nicht allein, sondern sitzt im Mini-Wintergarten mit Daland und Mary beim 1960er-Jahre-Horror-Spießer-Mahl. Streckenweise kommt tatsächlich Langeweile auf, was beim konzise komponierten „Holländer“ eigentlich unmöglich sein sollte.
Sängerisch hat der Abend durchaus Festspielniveau: Das Ensemble wird überstrahlt von Asmik Grigorians durchschlagendem Sopran und ihrer souverän differenzierten Gestaltung, sonor fließend und mit klarer Diktion Georg Zeppenfelds Daland, John Lundgrens Holländer klingt massig, gelegentlich rau und etwas unbeteiligt, Eric Cutlers Erik ist kraftvoll tenoral, fast übermotorisiert. Am Ende löst sich dann aber doch großer Jubel, es gibt sogar Getrampel, törichte Buhs für den unschuldigen Chor und gerechte für die Regie.
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